Betreuung von Fluchtwaisen

Für die Betreuung von Kinderflüchtlingen stellt die Republik weit weniger Ressourcen zur Verfügung als für andere Kinder, die nicht bei ihren Eltern sein können. Damit lässt der Staat sie im Stich: Denn Fluchtwaisen brauchen in den Einrichtungen, in denen sie betreut werden all das, was österreichische Kinder auch brauchen. Sie müssen auf das Erwachsenenleben vorbereitet werden. Sie müssen begleitet werden. Und das ab ihrem ersten Tag in Österreich.
Lisa Wolfsegger

Wenn wir den Fluchtwaisen, wenn wir diesen Kindern das Kindsein nehmen und das machen wir, wenn wir sie in das Grundversorgungssystem drängen, dann nehmen wir den Kindern auch Chancen im Erwachsenenleben. Wer etwa keine Chance auf die bestmögliche Bildung bekommt, kann die eigenen Potenziale nicht ausleben.
Das Grundversorgungssystem ist ein System, in dem erwachsene Schutzsuchende eben diese Deckung der minimalen Grundbedürfnisse bekommen, etwa Nahrung, Unterkunft, Krankenversicherung und Kleidung. Kinder brauchen aber mehr als Essen, ein Dach über dem Kopf und etwas zum Anziehen. Kinder befinden sich in einer Entwicklungsphase des Lebens. Da braucht es eine Schulter zum Anlehnen und Ausheulen, sie brauchen jemand, der ihnen hilft, die richtige Schule oder Berufsausbildung zu finden und sie brauchen Räume zum Ausleben ihrer Kindheit (oder Jugend).
Bis zum Jahr 2004 hatte der überwiegende Teil der Fluchtwaisen überhaupt bestenfalls einen Platz zum Schlafen. Gesundheitsversorgung, Sprachkurse oder pädagogische Betreuung waren die Ausnahme. Mit Einführung der Grundversorgung gab es erstmals ein klares Bekenntnis der Verantwortungsträger auf Bundes- und Landesebene, für Fluchtwaisen speziell betreute Unterbringungsplätze bereitzustellen. Im Jahr 2005 gelang es, allen neu ankommenden Fluchtwaisen solche Betreuungsplätze anzubieten.
Unterbringung im Zulassungsverfahren

Während sich in ganz Österreich insgesamt 2.400 Fluchtwaisen befanden, waren im Herbst 2022 rund 1.200 Fluchtwaisen in diesen Lagern untergebracht – aufgeteilt auf fünf Einrichtungen: Traiskirchen, Reichenau/Rax, Finkenstein, Korneuburg und Mariabrunn in Wien. Die Hälfte der Fluchtwaisen war zu diesem Zeitpunkt also in den großen, nicht kindgerechten Lagern untergebracht.
Diese Bundeslager bieten weitaus schlechtere Betreuungsmöglichkeiten und es fehlt die adäquate Schule. Neben den fehlenden sozialen Kontakten ist das große Problem in dieser Zeit, dass es keine Obsorge für Fluchtwaisen gibt. Es ist also niemand für die Kinder verantwortlich. Dieser lange Aufenthalt in den Bundeslagern ist eigentlich nicht vorgesehen, da es aber keine Plätze in den Bundesländern gibt, "stapeln sich" die Fluchtwaisen in diesen Einrichtungen. Niemand darf in dieser Zeit etwa Entscheidungen zur Schule treffen, im Krankenhaus unterschreiben und auch andere Rechtsfragen außerhalb des Asylverfahrens bleiben komplett ungelöst.
Daher fordert die Kamagne KIND ist KIND die Errichtung von Clearingstellen für Fluchtwaisen während des Zulassungsverfahrens.
Unterbringung während des inhaltlichen Asylverfahrens

Ein weiteres Problem ist, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Österreich generell unterfinanziert ist. Der Kinder- und Jugendhilfe fehlt es an Mitteln, um Kinder – geflüchtet oder nicht – ausreichend zu betreuen. Daher muss von staatlicher Seite die Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe sichergestellt sein, damit jedes Kind, unabhängig vom Geburtsort oder Aufenthaltstitel in Österreich seinen Bedürfnissen entsprechend betreut wird, denn KIND ist KIND – egal woher es kommt.

Zusätzlich zu den professionellen Betreuer:innen leisten ehrenamtliche Unterstützer:innen einen wichtigen Beitrag beim Ankommen von schutzsuchenden Kindern und Jugendlichen. Pat:innen lernen mit den Jugendlichen, dienen als zusätzliche erwachsene Bezugsperson und zeigen den Jugendlichen das Leben in dem für sie noch fremden Land. Eines dieser Projekte ist connecting people von der asylkoordination österreich. Pat:innen helfen den jungen Menschen ihren Platz in Österreich zu finden.
Die Betreuungsstellen, die Fluchtwaisen während des inhaltlichen Asylverfahrens unterbringen, sind im Fluchtwaisen Netzwerk vernetzt.
Österreichweit gibt es drei Tagsatzkategorien
Die Betreuungseinrichtungen, die Fluchtwaisen unterbringen, werden ausschließlich über die Bezahlung von Tagessätzen (max. EUR 95 pro Kind und Tag) finanziert. Der Tagsatz ist in einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt und wird – sobald die Fluchtwaisen zum Asylverfahren zugelassen sind – von den Grundversorgungsstellen der Länder an die Einrichtungen ausbezahlt. In der Bundesbetreuung wird der Tagsatz vom Bund bezahlt. In manchen Fällen gibt es einen Zuschuss von der Kinder- und Jugendhilfe.
In beiden Fällen – während der Unterbringung in den Ländern und während der Unterbringung durch den Bund – werden die Kosten zwischen Bund und Ländern geteilt, der Bund trägt 60% der Kosten, die Länder 40%.
Wohngruppe: 1:10 = 1 Betreuer:in für 10 Kinder, Höchstsatz EUR 95
Wohnheim: 1:15 = 1 Betreuer:in für 15 Kinder, Höchstsatz EUR 63,50
betreutes Wohnen: 1:20 = 1 Betreuer:in für 20 Kinder, Höchstsatz EUR 40,50
Während in der Länderbetreuung fast überall die 1:10-Betreuung stattfindet (Wohngruppen), wird in der Bundesbetreuung der Schlüssel 1:15 herangezogen. Mit einer Person für 15 Kinder kann pro Kind naturgemäß weniger Betreuung erfolgen und selbst diese 1:15-Betreuung ist oft nicht gegeben: 2021 lag der Betreuungsschlüssel in der Bundesbetreuung bei etwa 1:32.
Mangelnde Betreuungskapazitäten
Die Zahl der Fluchtwaisen unterlag in den vergangenen Jahren starken Schwankungen, sodass in Jahren, in denen es (wie 2013 und vor allem 2018/19) zu einem Rückgang bei Asylanträgen kam, Betreuungskapazitäten abgebaut wurden, die 2022 fehlten. Der Grund: Die Betreuungseinrichtungen werden ausschließlich über die Bezahlung von Tagessätzen (max. EUR 95 pro Kind und Tag) finanziert, sodass die Betreiber:innen Quartiere schließen und Personal entlassen mussten, da weniger Schutzsuchende kamen. Dies führte dazu, dass bei wieder steigenden Zahlen wie seit 2020 nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung standen. Um ein Quartier einzurichten und Personal auszuwählen, braucht es mehrere Monate, zudem ist es äußerst schwierig, geeignete Quartiere zu finden. 2015/16 haben sich – nachdem Tausende Minderjährige monatelang nicht altersgerecht betreut worden waren – die Betreuungskapazitäten verdreifacht. 2018/19 musste wieder ein Großteil der Quartiere geschlossen werden.
Fehlende Ressourcen
2015 bzw. 2016 wurden zwar die Höchsttagsätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge angehoben, maßgeblich allerdings nur die dritte Tagsatzkategorie von EUR 77 auf EUR 95. Selbst bei voller Auslastung können die Einrichtungen jedoch nicht kostendeckend betrieben werden. Massive Teuerungen in allen Lebensbereichen erfordern deshalb eine rasche weitere Tagsatzanpassung.
Die Ressourcen für Fluchtwaisen sind übrigens erheblich niedriger als jene in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Im Vergleich mit der Fremdunterbringung von österreichischen Kindern gibt es hier einen gravierenden Unterschied: Der Tagsatz bei der Fremdunterbringung von österreichischen Kindern beginnt bei EUR 120 und ist nach oben hin offen. Dagegen ist der Tagsatz bei Fluchtwaisen mit EUR 95 gedeckelt.
Beim Tagsatz für Fluchtwaisen gibt es auch keine Indexanpassung oder Valorisierung. Durch den niedrigenTagsatz sind die Häuser schlechter ausgestattet als bei österreichischen Kindern, die Betreuung und psychische Unterstützung nicht in dem Ausmaß möglich wie benötigt und die Freizeitaktivitäten eingeschränkt.