Betreuung von Fluchtwaisen

Für die Betreuung von Kinderflüchtlingen stellt die Republik weit weniger Ressourcen zur Verfügung als für andere Kinder, die nicht bei ihren Eltern sein können. Damit lässt der Staat sie im Stich: Denn Fluchtwaisen brauchen in den Einrichtungen, in denen sie betreut werden all das, was österreichische Kinder auch brauchen. Sie müssen auf das Erwachsenenleben vorbereitet werden. Sie müssen begleitet werden. Und das ab ihrem ersten Tag in Österreich.
Lisa Wolfsegger

Wenn wir den Fluchtwaisen, wenn wir diesen Kindern das Kindsein nehmen und das machen wir, wenn wir sie in das Grundversorgungssystem drängen, dann nehmen wir den Kindern auch Chancen im Erwachsenenleben. Wer etwa keine Chance auf die bestmögliche Bildung bekommt, kann die eigenen Potenziale nicht ausleben.
Das Grundversorgungssystem ist ein System, in dem erwachsene Schutzsuchende eben diese Deckung der minimalen Grundbedürfnisse bekommen, etwa Nahrung, Unterkunft, Krankenversicherung und Kleidung. Kinder brauchen aber mehr als Essen, ein Dach über dem Kopf und etwas zum Anziehen. Kinder befinden sich in einer Entwicklungsphase des Lebens. Da braucht es eine Schulter zum Anlehnen und Ausheulen, sie brauchen jemand, der ihnen hilft, die richtige Schule oder Berufsausbildung zu finden und sie brauchen Räume zum Ausleben ihrer Kindheit (oder Jugend).
Bis zum Jahr 2004 hatte der überwiegende Teil der Fluchtwaisen überhaupt bestenfalls einen Platz zum Schlafen. Gesundheitsversorgung, Sprachkurse oder pädagogische Betreuung waren die Ausnahme. Mit Einführung der Grundversorgung gab es erstmals ein klares Bekenntnis der Verantwortungsträger auf Bundes- und Landesebene, für Fluchtwaisen speziell betreute Unterbringungsplätze bereitzustellen. Im Jahr 2005 gelang es, allen neu ankommenden Fluchtwaisen solche Betreuungsplätze anzubieten.
Unterbringung im Zulassungsverfahren

Während sich in ganz Österreich im Dezember 2023 insgesamt 1.885 Fluchtwaisen befanden, waren 545 Fluchtwaisen in diesen Lagern untergebracht – aufgeteilt auf (damals) fünf Einrichtungen: Traiskirchen, Reichenau/Rax, Finkenstein, Korneuburg und Steyregg.
2024 wurden Steyregg und Reichenau/Rax geschlossen. 2023 gab es eine weitere Einrichtung in Wien (Mariabrunn), diese wurde Ende 2023 bereits geschlossen. 85 Prozent der Kinder in den Bundeseinrichtungen sind bereits zu Verfahren zugelassen und müssten schon in den Einrichtungen der Länder sein. Manche haben sogar bereits einen Schutzstatus in Österreich. Eine große Anzahl ist daher in den nicht Kindergerechten Lagern untergebracht.
Diese Bundeslager bieten weitaus schlechtere Betreuungsmöglichkeiten und es fehlt die adäquate Schule. Neben den fehlenden sozialen Kontakten ist das große Problem in dieser Zeit, dass es keine Obsorge für Fluchtwaisen gibt. Es ist also niemand für die Kinder verantwortlich. Dieser lange Aufenthalt in den Bundeslagern ist eigentlich nicht vorgesehen, da es aber keine Plätze in den Bundesländern gibt, "stapeln sich" die Fluchtwaisen in diesen Einrichtungen. Niemand darf in dieser Zeit etwa Entscheidungen zur Schule treffen, im Krankenhaus unterschreiben und auch andere Rechtsfragen außerhalb des Asylverfahrens bleiben komplett ungelöst.
Daher fordert die Kamagne KIND ist KIND die Errichtung von Clearingstellen für Fluchtwaisen während des Zulassungsverfahrens.
Unterbringung während des inhaltlichen Asylverfahrens

Ein weiteres Problem ist, dass die Kinder- und Jugendhilfe in Österreich generell unterfinanziert ist. Der Kinder- und Jugendhilfe fehlt es an Mitteln, um Kinder – geflüchtet oder nicht – ausreichend zu betreuen. Daher muss von staatlicher Seite die Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe sichergestellt sein, damit jedes Kind, unabhängig vom Geburtsort oder Aufenthaltstitel in Österreich seinen Bedürfnissen entsprechend betreut wird, denn KIND ist KIND – egal woher es kommt.

Zusätzlich zu den professionellen Betreuer:innen leisten ehrenamtliche Unterstützer:innen einen wichtigen Beitrag beim Ankommen von schutzsuchenden Kindern und Jugendlichen. Pat:innen lernen mit den Jugendlichen, dienen als zusätzliche erwachsene Bezugsperson und zeigen den Jugendlichen das Leben in dem für sie noch fremden Land. Eines dieser Projekte ist connecting people von der asylkoordination österreich. Pat:innen helfen den jungen Menschen ihren Platz in Österreich zu finden.
Die Betreuungsstellen, die Fluchtwaisen während des inhaltlichen Asylverfahrens unterbringen, sind im Fluchtwaisen Netzwerk vernetzt.
Finanzierung durch Tagsätze
Bis Juli 2024 galten österreichweit für die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen folgende Betreuungskategorien und Tagsätze (Beträge pro Kind und Tag):- Wohngruppe: 1:10 = 1 Betreuer:in für 10 Kinder, Tagsatz 95,00 Euro
- Wohnheim: 1:15 = 1 Betreuer:in für 15 Kinder, Tagsatz 63,50 Euro
- betreutes Wohnen: 1:20 = 1 Betreuer:in für 20 Kinder, Tagsatz 40,50 Euro
Im Juli 2024 wurde die lang erkämpfte Erhöhung der Tagsätze im Nationalrat beschlossen. Laut Grundversorgungsänderungsvereinbarung gibt es nun nicht mehr drei, sondern nur noch zwei Betreuungskategorien, gleichzeitig werden neue Kostenhöchstsätze festgelegt, die rückwirkend ab Jänner 2024 pro Kind und Tag verrechnet werden können:
- Unterbringung, Verpflegung und Betreuung unbegleiteter Minderjähriger - Tagsatz 112,00 Euro
- Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von unbegleiteten Minderjährigen in Einrichtungen im Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe - Tagsatz 130,00 Euro
Unklar bleibt, ob Betreuungseinrichtungen in die erste oder in die zweite Kategorie fallen. Dies wird sich erst im Laufe der Verhandlungen in den einzelnen Bundesländern zeigen. Darüber hinaus sind in manchen Bundesländern besondere Regelungen zu berücksichtigen: So ist zum Beispiel in Oberösterreich die Rechtsvertretung bereits im Tagsatz enthalten, sodass die Betreuungsstellen selbst für die Finanzierung sorgen müssen. Es bleibt abzuwarten, ob die oberösterreichische Praxis beibehalten wird oder ob eine Angleichung an andere Bundesländer erfolgt.
Sowohl die bisherigen als auch die neuen Höchstsätze bieten den Rahmen, innerhalb dessen die Bundesländer ihre Tagsätze festlegen können, es steht den Bundesländern frei, ob sie diesen Rahmen zur Gänze ausschöpfen oder ob sie niedrigere Kostensätze festsetzen. Dies muss nun noch in den Landtagen beschlossen werden, bevor die neuen Tagsätze an die Betreuungseinrichtungen ausgezahlt werden können. Es ist leider zu befürchten, dass nicht alle Bundesländer die entsprechenden Beschlüsse noch im Jahr 2024 fassen und umsetzen. In manchen Bundesländern besteht sogar das Risiko, dass die neuen Höchstsätze gar nicht zur Umsetzung kommen.
Das Wiener Realkostenmodell
Wien geht bei der Finanzierung der Grundversorgung seit 2023 einen eigenen Weg. In der Realkostenverrechnungsvereinbarung (RKVV) vereinbarte das Land Wien mit dem Bund, anstelle von Tagsätzen die realen Kosten der organisierten Unterkünfte zu verrechnen. Dies umfasst im Wesentlichen Personalkosten (Betreuungs- und Administrationspersonal), Materialkosten, Fremdleistungen (Verbrauchs- und Hygienematerial), Miete, Instandhaltung, sowie Fortbildungen. Ausgenommen sind Overhead-Kosten, die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung stehen. Die Kosten werden anhand einer transparenten Kostenkalkulation der gemeinnützigen Trägerorganisationen ermittelt und die Differenzbeträge zwischen den Kostenhöchstsätzen und den tatsächlichen Kosten (Realkostenaufschläge) von Bund und Land Wien anteilig übernommen.
Mangelnde Betreuungskapazitäten
Die Zahl der Fluchtwaisen unterlag in den vergangenen Jahren starken Schwankungen, sodass in Jahren, in denen es (wie 2013 und vor allem 2018/19) zu einem Rückgang bei Asylanträgen kam, Betreuungskapazitäten abgebaut wurden, die 2022 fehlten - 2023/2024 kam es dann zu einem erneuten Rückgang.
Der Grund: Die Betreuungseinrichtungen werden ausschließlich über die Bezahlung von Tagessätzen (max. EUR 95 pro Kind und Tag) finanziert, sodass die Betreiber:innen Quartiere schließen und Personal entlassen mussten, da weniger Schutzsuchende kamen. Dies führte dazu, dass bei wieder steigenden Zahlen wie seit 2020 nicht ausreichend Kapazitäten zur Verfügung standen. Um ein Quartier einzurichten und Personal auszuwählen, braucht es mehrere Monate, zudem ist es äußerst schwierig, geeignete Quartiere zu finden. 2015/16 haben sich – nachdem Tausende Minderjährige monatelang nicht altersgerecht betreut worden waren – die Betreuungskapazitäten verdreifacht. 2018/19 musste wieder ein Großteil der Quartiere geschlossen werden.
Fehlende Ressourcen
2015 bzw. 2016 wurden zwar die Höchsttagsätze für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge angehoben, maßgeblich allerdings nur die dritte Tagsatzkategorie von EUR 77 auf EUR 95. Selbst bei voller Auslastung können die Einrichtungen jedoch nicht kostendeckend betrieben werden. Massive Teuerungen in allen Lebensbereichen erfordern deshalb eine rasche weitere Tagsatzanpassung.
Die Ressourcen für Fluchtwaisen sind übrigens erheblich niedriger als jene in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.
Im Vergleich mit der Fremdunterbringung von österreichischen Kindern gibt es hier einen gravierenden Unterschied: Der Tagsatz bei der Fremdunterbringung von österreichischen Kindern beginnt bei EUR 170 und ist nach oben hin offen. Dagegen ist der Tagsatz bei Fluchtwaisen mit EUR 95 gedeckelt.
Beim Tagsatz für Fluchtwaisen gibt es auch keine Indexanpassung oder Valorisierung. Durch den niedrigenTagsatz sind die Häuser schlechter ausgestattet als bei österreichischen Kindern, die Betreuung und psychische Unterstützung nicht in dem Ausmaß möglich wie benötigt und die Freizeitaktivitäten eingeschränkt.