Asylverfahren bei Fluchtwaisen

Das Asylverfahren von Fluchtwaisen ist - wie bei allen anderen Asylwerber:innen auch - in das Zulassungsverfahren und das inhaltliche Verfahren aufgeteilt. Im Verfahren werden die Gründe für Asyl, subsidiären Schutz oder einen humanitären Aufenthaltstitel geprüft. Das Verfahren läuft rechtlich genauso ab wie bei erwachsenen Asylwerber:innen, nur dass Fluchtwaisen eine Rechtsvertretung zur Seite gestellt bekommen und das Kindeswohl mitberücksichtig werden muss.
Lisa Wolfsegger

Zulassungsverfahren
Bevor sich die Asylbehörden mit den Fluchtgründen beschäftigen, wird geklärt, ob Österreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Bei Fluchtwaisen gilt die Dublin-III-Verordnung nicht, Österreich ist somit automatisch zuständig, sobald die Minderjährigkeit anerkannt wird.

Die erste Einvernahme sollte innerhalb von 72 Stunden nach der Ankunft in der Erstaufnahmestelle stattfinden. Dies ist problematisch, da bisherige Erfahrungen gezeigt haben, dass Fluchtwaisen eine eingehende Befragung erst nach einer längeren Eingewöhnungsphase zugemutet werden sollte.

Oft sind die Minderjährigen Wochen oder gar Monate im Zulassungsverfahren. Während dieser Zeit sind sie in Traiskirchen oder Reichenau an der Rax untergebracht.
Es gibt während des Zulassungsverfahrens keine obsorgeberechtigte Person oder Stelle. Die staatliche BBU ist mit der Rechtsvertretung im Asylverfahren beauftragt.
Inhaltliches Verfahren
Fluchtwaisen werden bei Asylverfahren nicht vorrangig behandelt, deshalb können die Verfahren bei Fluchtwaisen, genauso wie bei volljährigen Asylwerber:innen lange dauern. Es werden auch die gleichen Punkte geprüft wie bei erwachsenen Asylwerber:innen.
Somit können viele Verfahren nicht in der Minderjährigkeit beendet werden und keine Statistiken über den Ausgang von Asylverfahren zu den dann ehemaligen Fluchtwaisen gegeben werden.
Stellt ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling einen Asylantrag in Österreich, werden die Asylgründe laut Asylgesetzt geprüft. Es gibt hier keinen Unterschied zu Asylverfahren zu erwachsenen Asylsuchenden, wobei natürlich das Kindeswohl auch hier vorrangig zu berücksichtigen ist.
Geprüft wird
- Asyl laut Genfer Flüchtlingskonvention
- subsidiärer Schutz laut europäischer Menschenrechtskonvention
- "Bleiberecht" - also die §§ 55, 56, 57
Alle Informationen zum allgemeinen Asylverfahren in Österreich hier.
Rechtliche Vertretung von Fluchtwaisen im Asylverfahren

Aufgrund des Asylgesetzes bzw. einer Obsorgeentscheidung ergibt sich die Verpflichtung für die Kinder- und Jugendhilfe (KJH), die rechtliche Vertretung der Minderjährigen im inhaltlichen Asylverfahren sicherzustellen.
Als Rechtsvertretung müssen sie bei den Einvernahmen anwesend sein, bekommen den Bescheid zugestellt und sind für das Einbringen von Rechtsmitteln verantwortlich.
Währen des Zulassungsverfahrens gibt es keine Obsorge und damit keine Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe. Eine allgemeine Rechtsvertretung gibt es auch nicht, lediglich ist die staatliche BBU für die Rechtsvertretung im Asylverfahren beauftragt. Für sonstige rechtliche Angelegenheiten gibt es keine Rechtsvertretung. Da Minderjährige gewisse Schritte auch selbst nicht machen dürfen (z. B. Verfahrenshilfeanträge), ergibt sich hier eine Lücke.
Fremdenpolizeiliches Verfahren
Im fremdenpolizeilichen Verfahren sind Minderjährige bereits mit der Vollendung des 16. Lebensjahres handlungsfähig (vgl. FPG § 12 Abs. 1). Der einzige Schutz, der älteren Minderjährigen gewährt wird, besteht darin, dass die Fremdenpolizei verpflichtet ist, gemäß § 12 Absatz 4 FPG die zuständige Kinder- und Jugendhilfe über die Inhaftierung eines unbegleiteten Minderjährigen unverzüglich zu informieren.
Da im fremdenpolizeilichen Verfahren eindeutig Schutzinteressen des/der Minderjährigen berührt werden, steht die österreichische Rechtslage in einem Spannungsverhältnis zur Ansicht des UNO-Kinderrechtsauschusses, der empfiehlt, dass Altersgrenzen, die der Verselbstständigung von Kindern und Jugendlichen entgegen stehen, tendenziell gesenkt werden sollten, während Schutzgrenzen im Interesse des Kindes möglichst hoch anzusetzen sind.
Die Prüfung des Kindeswohls ist im fremdenpolizeilichen Verfahren (entgegen den Vorgaben des Art. 5 lit.a der Rückführungs-Richtlinie) im nationalen Recht nicht verankert.
Familienzusammenführung bei Fluchtwaisen
Informationen dazu beim Thema Familienzusammenführung
Abschiebung und Rückkehr
Freiwillige Rückkehr von Fluchtwaisen
IOM unterstützt bei der freiwilligen Rückkehr, unter Voraussetzung der drei weltweit gültigen Prinzipien der Freiwilligkeit, Schutz der Würde und der Menschenrechte sowie der Souveränität des Staates (Rückkehr nur in Länder mit gültiger Aufenthaltsberechtigung).
IOM kann weltweit Unterstützung vor der Rückkehr, während der Reise und nach der Ankunft im Rückkehrland anbieten – vorausgesetzt, die Finanzierung dafür ist gesichert. Die Rückkehrberatung wird von Beratungsstellen wie Caritas, Verein Menschenrechte Österreich, Kärntner Landesregierung bzw. auch von auf Maßnahmen gegen Menschenhandel spezialisierten Einrichtungen (LEFÖ-IBF) angeboten. Die Kostenübernahme für die Rückkehr bewilligt das BFA.
Bei Fluchtwaisen kann eine von IOM unterstützte freiwillige Rückkehr nur erfolgen, wenn es dem Kindeswohl entspricht. Außerdem muss der Wille des Kindes altersentsprechend berücksichtigt werden. Bei jenen unter 15 Jahren muss die Reise begleitet sein.
In Österreich braucht es dafür die Zustimmung des/der Obsorgeberechtigten nach sorgfältiger Kindeswohlprüfung, eine Kostenübernahmebestätigung des BFA und ein gültiges Reisedokument.
Im Rückkehrland braucht es das Einverständnis und die Bestätigung der/des Obsorgeberechtigten, dass er/sie bereit ist, den/die Minderjährige bei der Ankunft zu empfangen, dass er/sie berechtigt und bereit ist, die Verantwortung für den/die Minderjährige bis zum 18. Lebensjahr zu übernehmen und die notwendigen Ressourcen hat, um sie/ihn zu versorgen.
Im Jahr 2023 gab es 226 freiwillige Ausreisen von Fluchtwaisen. 220 davon betrafen freiwillige Ausreisen in die Ukraine. Die resteliche 6 freiwilligen Ausreisen betrafen Staatsangehörige von Russland, Afghanistan, Ägypten, Syrien, Georgen und Iran. Hier werden nur die Staatsangehörigkeit der Ausreisenden angegeben, in welches Land sie ausgereist sind, lässt sich nicht sagen.
Abschiebung von Minderjährigen
Vereinzelt kam es in den letzten Jahren zu Abschiebungen von Minderjährigen. Seit vielen jahren wurde aber kein Fluchtwaise abgeschoben. 2023 wurden jedoch 23 Kinder gemeinsam mit ihren Familien.
7 Fluchtwaisen wurden 2023 in Schubhaft gehalten.
Laut Innenministerium werden die unbegleiteten Minderjährigen von Kontaktbeamt:innen immer an die Erziehungsberechtigten oder an Behörden der Kinder- und Jugendhilfe übergeben. Der/die – im Prozess der Abschiebung involvierte – unabhängige Menschenrechtsbeobachter:in konnte dieses Vorgehen jedoch nicht bestätigen.
Wird ein Asylantrag abgelehnt und die Ausweisung ausgesprochen, bedeutet dies gleichzeitig ein Wiedereinreiseverbot für die Dauer von 18 Monaten im gesamten EU-Raum.
Laut dem EuGH Urteil aus dem Jahr 2021 darf die Abschiebung von Fluchtwaisen auch nur dann erfolgen, wenn eine geeignete Aufnahmemöglichkeit im Herkunftsland besteht – wenn sich also ein Mitglied ihrer Familie, ein offizieller Vormund oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung um den/die Minderjährige/n kümmert. Auch mit der Abschiebung zu warten, bis der Minderjährige das Alter von 18 Jahren erreicht hat, ist laut dem Urteil nicht möglich.
VIDEOWEGWEISER ASYLVERFAHREN
Plattform Asyl – FÜR MENSCHEN RECHTE
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WEGWEISER ASYLVERFAHREN
UNHCR
Deutsch, Englisch, Arabisch, Dari/Farsi, Somali, Paschtu