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30.3.2023

Nicht rassistisch sein ist nicht genug - Anti-Rassismus im Alltag. Bloß wie?

Rassismus gegen Schwarze hat in Österreich ziemlich zugenommen. In einer Ende Oktober 2023 präsentierten Studie der EU-Grundrechteagentur (FRA) bildet Österreich gemeinsam mit Deutschland die rassistische Spitze.  Diskriminierung wird bei der Arbeitssuche, beim Wohnen und im Gesundheitsbereich sind üblich. Grund genug für ein Dossier zum Thema Anti-Rassismus. Denn: Fakt ist, dass wir alle rassistisch sozialisiert sind. Und das ist kein Grund für eine meist massive  - Ich doch nicht! – Abwehrhaltung.  Aber wie mache ich´s richtig? Eine Einführung in ein heikles Thema in drei Kapiteln.

Kapitel 1: Aller antirassistischer Anfang ist schwer

Unsere Geschichte beginnt im Parlament bzw. mit einer OTS-Meldung der ÖVP am Tag nach einem Hearing im frisch renovierten Hohen Haus.
Wien (OTS) - „Toleranz und Respekt müssen gelebt werden, nicht nur eingefordert. Das hat uns leider vorgestern eine Veranstaltung im Parlament zum ‚Black Voices Volksbegehren‘ einmal mehr vor Augen geführt. Dieses Volksbegehren, das die Mindestanzahl der Unterschriften verfehlte, beinhaltet berechtigte Sorgen und Anliegen, es schmerzt mich daher besonders, wenn Diskussionsteilnehmer einen konstruktiven Diskurs verhindern und die freie Meinungsäußerung nicht zulassen“, kritisiert der Nationalratsabgeordnete der Volkspartei, Ernst Gödl, die Anfeindungen gegen die Menschenrechtssprecherin der Volkspartei, Gudrun Kugler, bei der Veranstaltung im Parlament.
„Menschenrechtssprecherin Gudrun Kugler musste gestern erkennen, dass sie nicht als Gesprächspartnerin auf Augenhöhe eingeladen wurde, sondern als Sündenbock hätte herhalten sollen. Das ging so weit, dass ihr sukzessive untersagt wurde, ihre Meinung offen zu äußern und selbst neutrale Begriffe wie ‚Herkunft‘ zu verwenden. Wenn Intoleranz und Meinungsterror aus ideologischen Gründen zur Norm werden, ist kein vernünftiger Diskurs mehr zu führen. Gegen solch demokratiegefährdendes Verhalten werden wir als Volkspartei immer klare Worte finden“, so Gödl abschließend.


Demokratie gefährdender Meinungsterror? Gugler als Sündenbock? War Herr Abgeordneter Gödl überhaupt dort, fragten wir uns und ich schließlich ihn:

Sg. Herr Abgeordneter!
Habe gerade Ihre PA vom 25.3. gelesen und frage mich, ob Sie bei der Veranstaltung anwesend waren. Hatte nicht den Eindruck, dass Abg. Kugler als "Sündenbock", sondern vielmehr in ihrer Rolle als Menschenrechtssprecherin der ÖVP eingeladen wurde, so wie die Kolleginnen der SPÖ und der Grünen. Frau Kuglers Anfangsstatement "Ich als Christin kann gar nicht rassistisch sein" musste für das mehrheitlich, (post)kolonial aufgeklärte POC-Publikum wie eine zynische Bemerkung wirken, was die heftigen Reaktionen auslöste. Diese sind angesichts einer nicht gerade antirassistischen Politik ihrer Partei auch nicht wirklich verwunderlich, siehe schwarz-blaue Koalition in NÖ.
Ich habe schließlich Frau Kugler angeboten in/mit der asylkoordination österreich über Möglichkeiten zu Anti-Rassismus im politischen Alltag zu sprechen und auch angeregt, einen Anti-Rassismus-Workshop für Ihren Klub zu machen. Ihr Feedback war - noch im Eindruck des für sie schwierigen Abends - eher nicht so positiv.
Mein Angebot zum Austausch jedenfalls gilt weiter.
Beste Grüße
th





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Wir alle sind rassistisch sozialisiert
Fakt ist, dass wir alle rassistisch sozialisert sind. Und das ist kein Grund für eine meist massive  - Ich doch nicht! – Abwehrhaltung. Dies versuchte der Abgeordneten Kugler beim Hearing im Parlament auch eine Schwarze Wienerin zu erklären. Ruhig und sachlich:
„Wir müssen aufhören, Rassismus mit Böse-Sein gleichzusetzen. Die Welt ist nicht geteilt in die Guten und die Rassist:innen. Rassismus ist nicht angeboren, aber wir alle sind mit rassistischem Gedankengut aufgewachsen. Klar, manche verinnerlichen es mehr als andere, aber niemand ist immun dagegen. Auch eine weiße Mutter, die ihr Schwarzes Kind liebt, kann rassistisch sein. Auch wenn deine Freundin einen Hijab trägt, kannst Du antimuslimische Bilder im Kopf haben. Und um mit dem größten Mythos zu brechen: Du kannst links sein, auf Menschenrechtsdemos gehen und trotzdem rassistisch denken.“
Lassen wir diese Worte mal sickern.
Das Zitat stammt von meiner Schwarzen asylkoordinations-Kollegin Melanie Kandlbauer und ihrer Schwester Minitta Kandlbauer aus dem Kapitel „Ich bin kein böser Mensch! Was hat Rassismus mit mir zu tun“.  Diese essenzielle Erkenntnis ist eine von „22 Antirassimus-Tipps für den Alltag“ aus dem sehr aufschlussreichen und daher schwerst empfehlenswerten Band War das jetzt rassistisch?


Nicht rassistisch gibt´s nicht
Wir alle kennen das. Wir sitzen bei Veranstaltungen im Publikum oder gar am Podium und versuchen unsere Solidarität mit von Rassismus betroffenen POC zu zeigen. Was nicht immer ideal gelingt, wie wir dann schmerzlich erkennen.
In den meisten Fällen meinen es progressive Menschen nicht böse, wenn sie rassistisch denken oder handeln. Das grundlegende Problem ist jedoch, dass progressive weiße Menschen oft glauben, dass sie bereits alles über Rassismus wissen, deshalb selbst nicht rassistisch sein können und beständig antirassistisch handeln…. Zitat 188/189
Was Nada Taha Ali Mohamed in ihrem Essay mit dem Titel „Ich bin auf Eurer Seite! Wieso nennt Ihr mich rassistisch?“ erörtert, ist auch immer wieder ein Thema bei Kollegin Kandlbauer. Melanie ist schließlich eine routinierte Antirassismus-Trainerin und koordiniert die Schul-Workshops bei uns in der asylkoordination. Brennende und für die Gefragten zuweilen verletzende Fragen wie „Darf ich dein Haar anfassen..." und "Woher kommst Du wirklich" werden mit den Schüler:innen diskutiert. Warum sie (so gerne) tut was sie tut, beschreibt sie im folgenden Kapitel.
 

Kapitel 2: Warum Antirassismusarbeit wichtig ist

Die Frage „Woher kommst du wirklich?“, klingt erstmal harmlos und ist meist ganz und gar nicht böse gemeint. Tatsächlich teilen wir aber mit solchen Fragen in ein „Wir“ und die „Anderen“. In jene, die selbstverständlich zu Österreich gehören und jene, die ihre Zugehörigkeit aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Aussehens erst einmal erklären müssen. Und dass obwohl sie meist hier geboren sind. Am Ende spielen wir mit dieser Frage also genau jenen Menschen und Parteien in die Hände, die uns spalten wollen. Die eine genaue Vorstellung davon haben, wie „echte“ Österreicher:innen auszusehen haben und nicht akzeptieren wollen, dass es auch Schwarze oder muslimische Österreicher:innen gibt und diese Menschen schon seit Generationen hier leben.




Wir und die Anderen
Wer dazugehören darf und wer nicht, das haben schon die Jüngsten verinnerlicht. Selbst wenn Schüler:innen Rassismus noch nicht benennen ennen können, spüren sie bereits ob sie laut Gesellschaft zum „Wir“ oder zu den „Ausländern“ bzw. den „Anderen“ zählen. Und nicht nur das. Durch Schulbücher und Medien haben sie auch gelernt, wie „die Anderen“ sind. Schließlich finden wir in unseren Geobüchern noch heute Bilder von Lehmhütten und nackten Darstellungen von hungernden Schwarzen Kindern in Afrika, statt Fotos von den Hochhäusern in afrikanischen Großstädten.
Studien zeigen, dass bereits Kleinkinder Vorurteile entwickeln und erleben. Mit der
Antidiskminierungsarbeit und der Dekonstruktion diskriminierender Bilder und Narrative kann
also nicht früh genug begonnen werden.

Ausgrenzung und Benachteiligung
Fehlt die Auseinandersetzung mit Rassismus, fällt es uns schwer eigene Vorurteile zu erkennen und einzugestehen, dass Rassismus ein Problem ist, das bis heute unsere Gesellschaft prägt. Auch gegenwärtig werden in Österreich Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens, ihres Glaubens, ihrer Herkunft oder ihrer Kultur ausgegrenzt und abgewertet. Erst kürzlich veröffentlichte beispielweise die Johannes-Kepler-Universität eine Studie, die zeigt, dass Personen mit vermeintlich ausländischen, insbesondere arabisch klingenden Nachnamen bei der Wohnungssuche benachteiligt werden. Das Sprechen über Rassismus ist somit weder übersensibel noch demokratiefeindlich. Es ist vielmehr eine Notwendigkeit um in einer Demokratie die gleichberechtigte Teilhabe und Menschenrechte für alle einzufordern.


Kapitel 3: Was also tun?

"Der weiße Mensch wird mit dem Makel des Rassismus geboren, an seiner Wiege steht die Ursünde des Kolonialismus. Niemand kann sich von dieser Schuld frei machen oder frei sprechen. es gibt kein Entrinnen. Wir sind Nachfahren der Sklavenhändler und daher Kinder des Sündensfalls. der Rassismus ist uns gewissermaßen eingepflanzt. Wir atmen und wir leben ihn...
Wer seine Verstrickung leugnet, beweist damit, wie virulent der rassistische Gedanke in ihm ist. Am Anfang der Besserung steht deshalb die Schuldanerkenntnis. Es ist ein bisschen wie im Bußgottesdienst: Der Weg zur Erlösung führt über die Beichte und die Bitte um Vergebung der Sünden. Wer hartnäckig darauf besteht, bei ihm sei nichts zu finden, riskiert Zurechtwesiung - oder die Exkommunikation!"

Es geht nicht um Schuld
Gegen das von Jan Fleischhauer im Magazin Focus postulierte Gefühl der Schuld und Scham, vor der er es für Weiße kein Entrinnen gebe, halten Expert:innen nicht viel. So schreibt die Autorin und Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette in ihrem Buch
Und jetzt Du. Zusammen gegen Rassismus:



Weiß sein heißt privilegiert sein!
Was heißt eigentlich Weißsein?
Es ist die Erfahrung, neutral und normativ zu sein, während Schwarz-Sein als “die Abweichung” gilt. Weißsein bedeutet auch sich nicht mit ständigen Überschreitungen der eigenen Grenzen auseinander setzen zu müssen (z.B. der permanenten Frage der „Herkunft“, sprich Zugehörigkeit zur nationalen Gemeinschaft). Vorallem ist Weißsein
das Privileg, sich in Bezug auf Rassismus sicher fühlen zu können, sich überall repräsentiert zu sehen. Diese Repräsentationen sind heterogen. Weiße werden nicht homogenisiert und mit Kompetenz assoziiert. (vgl: Lück, Mitja Sabine (2009): Critical Whiteness – die kritische Reflexion weißer Privilegien als Chance für transkulturelle Teams im Frauenhauskontext)

Critical Whiteness – Entstehungskontext und grundlegende Thesen

Was kannst du als weiße Person tun?
"Als ersten Schritt solltest Du begreifen, dass du weiß bist", schlägt das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA)  vor. Denn: "Dies ist die Grundvoraussetzung, um zu verstehen, was es bedeutet, weiß zu sein. Wenn du diesen Schritt getan hast, kannst du reflektieren, welche gesellschaftliche Machtposition du auf Grund deines Weißseins inne hast und welche Privilegien du dadurch automatisch besitzt. Mit diesen Privilegien solltest du dich individuell auseinandersetzen und dir darüber klar werden, dass du als weiße Person vom strukturellen Rassismus in der Gesellschaft profitierst und du auf Grund dessen nicht benachteiligt oder diskriminiert wirst. Das Bewusstsein darüber ermöglicht den ersten Schritt zu mehr Gleichberechtigung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft." Voraussetzung für eine (erfolgreiche) kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Weißsein ist die Bereitschaft dazu.





Wir tun was!
Und zwar in unseren Anti-Rassismus-Workshops, wo wir mit den Jugendlichen interaktiv erarbeiten, wie Rassismus funktioniert und welche Formen des Rassimus existieren. Um den Alltagsrassismus, auch individuellen Rassismus zu benennen, beschreiben die Jugendlichen ihnen bekannte Gruppen und können so erkennen, dass manche Menschen eher Vorurteilen und somit Diskriminierungen und Rassismus ausgesetzt sind als andere. Anhand einer kurzen Filmanalyse und eines Rollenspiels werden mögliche Strategien der Zivilcourage erprobt und gezeigt, wie Rassismus entgegengewirkt werden kann. Für diesen Workshop greifen wir auf lange erprobte Einzel-, Kleingruppen- und Plenumsübungen aus der rassismuskritischen Arbeit und Antidiskriminierungsarbeit zurück, die je nach Anliegen der Schüler:innen auch variiert werden können.

Große Nachfrage, darum mehr Angebot
Um der erhöhten Nachfrage gerecht zu werden, haben wir weitere Trainer:innen eingestellt, die eine große Bereicherung für unser tolles Team sind.  Die Förderung durch den OeAD
ermöglichte uns zudem die Einführung des Volksschul-Workshops „Alle da! Vielfalt und Respekt im Klassenzimmer“. Diesen Workshop wollten wir bereits seit längerem umsetzen,
weil wir gemerkt haben, dass es eine Lücke im Primärstufenbereich gibt. Zu den Themen Antirassismus, Vorurteile abbauen und Flucht gibt es für Volksschulen kaum Angebote,
obwohl der Bedarf groß ist, wie wir durch unsere Lehrer:innenfortbildung erfahren haben.

Was ist das Spezielle an der Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit der asylkoordination österreich?
Viele Schüler:innen haben eine Fluchtbiografie und sind mit Vorurteilen und strukturellem Rassismus konfrontiert. Genau dies wird in unseren Workshops angesprochen, von unserenTrainer:innen, die Expert:innen auf ihrem Gebiet sind und zugleich BIPoC, also Menschen, die selbst von Rassismus betroffen sind und teils eine eigene Fluchtbiografie auf
weisen. Als betroffene Expert:innen geben sie nicht nur ihr Wissen weiter, sondern schaffen auch einen Raum, in dem betroffene Schüler:innen über ihre persönlichen Erfahrungen berichten können. Auch Empowerment ist für uns sehr wichtig. Schüler:innen sollen nicht nur über Rassismus aufgeklärt, sondern auch im zivilcouragierten Handeln gestärkt werden.
Die asylkoordination österreich bietet nicht nur Workshops für Schulen, sondern auch eine Fachtagung für Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte an, die Sommerakademie mit dem Thema „Rassismuskritische Schule 2022“. Die Sommerakademie haben wir letztes Jahr mit Prosa - Schule für alle gestaltet. Sie fand am 29. und 30. August statt. Den Schwerpunkt bildete das soziale und partizipative Lernen. Uns ist immer wichtig, dass wir Synergien mit anderen Organisationen schaffen, weshalb wir im Jahr zuvor eng mit der Initiative Diskriminierungsfreies Bildungswesen und der Dokustelle zusammengearbeitet haben.

Rassismus in Österreich. Eine Übersicht

Unser Antirassismus-Workshop

Ausgewählte, empfohlene Bildungsmaterialien

Unser Workshop "Stationen einer Flucht"

Black Voices

Gegen Hass im Netz-Bericht

Nicht mein Antisemitismus

Tupoka Ogette

Audio:
Podcast-Folge mit Journalistin Alice Hasters (Autorin von "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten")
Rassismus im Kreißsaal-was tun?! ein Radiofeature

Video:
Was ist struktureller Rassismus?
Mikro-Agressionen: Was ist das denn?
Robin DiAngelo: Debunking The Most Common Myths White People Tell About Race




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