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27.6.2024

Wie werden FREMDE (?) Kinder in Österreich medizinisch versorgt?

Das österreichische Gesundheitswesen ist für eine gute Versorgung von geflüchteten Kindern denkbar schlecht gerüstet. Trotz Krankenversicherung in der Grundversorgung ist eine gute medizinische Versorgung aus kinderärztlicher Perspektive nicht gewährleistet. Von der Erstuntersuchung über funktionelle Therapien und die psychotherapeutische Versorgung krankt das System. Kinderärzt:innen fordern mehr ...
Katharina Glawischnig

Autor:innen:
Dr. Katharina Glawischnig, asylkoordination österreich
Dr. Florian Götzinger, Kinderinfektiologe, Klinik Ottakring; Leiter des Referats für transkulturelle Pädiatrie der ÖGKJ
PD Dr. Nicole Grois, Leiterin der Arbeitsgruppe Flüchtlingskinder, Kinderordination Alsergrund

 
 

Kind ist Kind, würden wir sagen.
Kind ist nicht gleich Kind, sagt unsere Politik.


Alle Kinder, egal woher sie kommen, brauchen die gleichen Ressourcen, um sich bestmöglich zu entwickeln und zu entfalten, das betrifft sowohl ihre physische als auch ihre psychische Gesundheit. Es ist unsere Pflicht als Erwachsene, sie - egal wo sie geboren wurden oder welche Staatsbürgerschaft sie haben oder welche Sprache sie sprechen - auf ihrem Weg zu begleiten und Unterstützung bereitzustellen.
 

Von wie vielen Kindern sprechen wir?


Die Antragszahlen von geflüchteten Menschen schwanken jährlich, aber auch innerhalb eines Jahres gibt es unterschiedlich starke Antragsmonate. Unter den geflüchteten Kindern gibt es selbstverständlich Unterschiede in der Biographie. Statistisch wird zwischen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und begleiteten Kinderflüchtlingen unterschieden, je nachdem, ob sie mit oder ohne obsorgeberechtigte Person(en) nach Österreich kommen, oder eben unbegleitet und somit alleine. Bei den begleiteten Kindern wird unterschieden zwischen jenen, die die Flucht gemeinsam mit beiden oder einem Elternteil absolviert haben, Kindern die im Rahmen der Familienzusammenführung zu meist einem Elternteil nach Österreich nachkommen und nachgeborenen Kindern, die Österreich als Geburtsland haben und die Flucht für sie einen Teil der Familienbiographie darstellt, sie jedoch nie in einem anderen Land als Österreich gelebt haben.
Im Folgenden eine Tabelle der Antragszahlen der letzten Jahre:


 

Sind alle geflüchteten Kinder krankenversichert?


Eigentlich sollten alle Kinder in Österreich krankenversichert sein. Die Versicherung von geflüchteten Kindern ist eine Leistung der Grundversorgung, der Sozialleistung für Geflüchtete während des laufenden Asylverfahrens. Es kann jedoch sein, dass geflüchtete Kinder diese Grundversorgungsleistung verlieren, wenn sie zu lange aus ihrem Quartier abwesend sind, der Wohnort gewechselt wird oder aufgrund anderer formale Fehler ihrer Eltern, auch unbewusst, Gründe gesetzt werden, so dass die Leistungen eingestellt werden.

Aus der Praxis wird berichtete, dass Geflüchtete ihr Versicherungsnummer nicht wissen, e-Cards erst Wochen bis Monate nach der Ankunft ausgestellt werden und für Betroffene zeitweise unklar ist, an welche Ärzt:innen sie sich wenden können.
 

Was sind die gesundheitlichen Problemlagen?


Das österreichische Gesundheitswesen ist für eine gute Versorgung von geflüchteten Kindern denkbar schlecht gerüstet.

Seit dem „großen Flüchtlingsjahr 2015“ sind die auch schon vorher ungelösten Probleme der medizinischen Versorgung von Kinderflüchtlingen noch deutlicher geworden.

Es gibt geflüchtete Kinder und Jugendliche, die seit Jahren, manchmal bereits von Geburt an, in Österreich leben und bei chronischen Erkrankungen keine adäquate Betreuung erhalten. Sie kommen oft nur im Notfall und zumeist ungeimpft und ohne Voranamnese in die Notfallambulanzen von Kliniken. Der in den letzten Jahren schockierend hohe Anstieg an Keuchhusten-, Masern-, aber auch Diphtherie-Fällen, sowie anderer, nicht infektiologischer medizinischer Probleme ist Symptom der allgemeinen Mangelversorgung von Kindern in Österreich.

Es ist nicht nur gesundheitspolitisch wichtig, sich besser um die Gesundheitsversorgung geflüchteter Kinder zu kümmern. Österreich ist auch durch das Unterzeichnen der Genfer Flüchtlingskonvention und der UN Kinderrechtekonvention dazu verpflichtet, geflüchteten Menschen bzw. Kindern dieselbe medizinische Betreuung zukommen zu lassen wie der restlichen Bevölkerung.

Allerdings besteht in Österreich schon seit vielen Jahren eine allgemeine Unterversorgung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen wie sozial schwachen Kindern, chronisch kranken Kindern oder Kindern mit Behinderungen. Geflüchtete Kinder sind aufgrund ihrer Fluchtgeschichte sehr belastet, aufgrund ihrer sozial schwachen Position fortlaufend gefährdet und leiden zusätzlich häufiger an chronischen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen.

An medizinischen Problemen mit Kinderflüchtlingen werden viele Lücken im Gesundheitssystem deutlich sichtbar. Es gibt in Österreich kein geeignetes Setting für eine adäquate medizinische Versorgung von ankommenden Kindern und zwar an keiner der Stellen, an der sie mit dem Gesundheitswesen in Berührung kommen.

Nach der Ankunft in Österreich werden immigrierende Kinder und Jugendliche von Allgemeinmediziner:innen in Bundesbetreuungseinrichtungen (BBE) untersucht. Kinderärzt:innen werden hier routinemäßig nicht eingebunden. Bei offensichtlichen gesundheitlichen Problemen, wie Verletzungen oder Behinderungen werden die Kinder an Spitäler weiterverwiesen. Bei Kindern über 6 Jahre wird ein Lungenröntgen zum Ausschluss von Tuberkulose gemacht, Kinder unter 6 Jahre werden nicht mittels Röntgen untersucht. Blutuntersuchungen sind nicht vorgesehen. Catch-up-Impfungen nach den Empfehlungen des Österreichischen Impfplans werden manchmal durchgeführt und manchmal nicht. Es existiert kein von der Regierung vorgeschriebenes standardisiertes Vorgehen für die weitere medizinische Versorgung. Es gibt von Kinderärzt:innen publizierte Empfehlungen für die Erstversorgung ankommender Kinder aber keine praktischen Verordnungen für deren Umsetzung.

Die Daten aus der Erstuntersuchung werden zwar in einer Datenbank der BBEs erhoben, sind aber den weiterführenden Betreuer:innen nicht zugänglich, womit die Information zu notwendigen weiteren Untersuchungen oder Behandlungen nach Zuweisung in die Grundversorgung der Länder leicht verloren geht bzw. davon abhängt, ob (nicht sprachkundige) Eltern die Notwendigkeit verstanden haben und/oder artikulieren können.

Je nach weiterem Aufenthalt bzw. Unterbringung werden die Kinder von Schulärzt:innen, Allgemeinmediziner:innen oder Kinderfachärzt:innen betreut, oder gar nicht, wenn die Eltern den Weg zu Gesundheitseinrichtungen nicht finden. Bis auf EINE Migrationsambulanz im Klinikum Ottakring in Wien gibt es an keiner Stelle im Gesundheitswesen flucht- und migrationsspezifische Expertise und ein entsprechend geeignetes Setting mit Sozialarbeit und Dolmetschunterstützung.

Kinderflüchtlinge erhalten mit der Registrierung als Asylwerber:innen die e-Card als „Eintrittskarte” in das österreichische Krankenversicherungssystem, eine gute medizinische Versorgung ist damit aus kinderärztlicher Perspektive aber bei weitem nicht gewährleistet.
Generell gibt es zu wenig pädiatrische Expertise im System: es gibt zu wenige Kinderfachärzt:innen und
eine immer kürzere pädiatrische Ausbildung für Allgemeinmediziner:innen; ein zunehmendes Zweiklassensystem mit immer mehr Wahlärzt:innen und zu wenige dafür übervolle Ordinationen mit Krankenkassenverträgen. All das erschwert den Zugang zum Gesundheitssystem für geflüchtete Kinder noch mehr. Auch Spitalsambulanzen sind überlastet, nicht zuständig und meist nicht spezialisiert in der Migrationsmedizin. Zusammengefasst gibt es zu wenig Zeit im gesamten System und keine adäquate Honorierung von Prävention, von Aufklärung, von aufwendiger Anamnese und Untersuchung, sowie Dolmetschleistungen.
Im österreichischen Impfplan empfohlene Impfungen für Risikokinder wie Influenza, Meningokokken, Pneumokokken oder Varizellen bei Kindern mit Immundefekten, Herzfehlern, neurologischen Behinderungen oder schweren Hauterkrankungen werden nicht von der öffentlichen Hand finanziert. Für sozial schwache Familien, wie eben auch Flüchtlingsfamilien, gibt es keine ausreichende Finanzierung und zu wenige Angebote für kostenfreie funktionelle Therapien wie Physio-, Ergo-, Logo- und Psychotherapie.

Mangelnde Informationsweitergabe innerhalb der Ärzteschaft und fehlende Dokumentation führen zu Mehrfachuntersuchungen, Mehrfachimpfungen, falscher Medikamentengabe oder Unterlassung von wichtigen Untersuchungen oder Verordnungen und Impfungen, und somit zu einer Gefährdung der Gesundheit dieser vulnerablen Kinder und einer unnötigen Vermehrung des ohnehin schon gewaltigen Arbeitsaufwandes für Ärzt:innen und Betreuer:innen.

Notwendig wäre die Datenerfassung zum Gesundheitszustand von ankommenden Kindern und jenen die Unterstützung durch die Grundversorgung erhalten (Diabetiker:innen, Kinder mit Epilepsie, mit Stoffwechselerkrankungen, mit Traumafolgestörungen, mit Diagnosen im Autismus-Spektrum, etc.), um den Bedarf laufender ärztlicher Hilfe und Unterstützung auch politisch planen zu können
 

Migrationsmedizin bei Kindern – so kann es funktionieren!


Seit 2021 arbeiten abwechselnd 4 Ärzt:innen und 2 Pflegepersonen in der Kinderambulanz für Migrationsmedizin an der Klinik Ottakring in Wien, der ersten und bisher einzigen in Österreich. Kinder mit Flucht- und Migrationsgeschichte finden aus sprachlichen oder sozialen Gründen oft keinen regelhaften Zugang zu unserem Gesundheitssystem. An die Spezialambulanz werden sie vor allem bei schweren oder chronischen Erkrankungen durch Kinderärzt:innen oder NGOs wie Diakonie, Caritas, DonBosco Sozialwerk oder diverse Frauenhäuser zugewiesen.
 

Was passiert in der Migrationsambulanz? Wodurch unterscheidet sich die Betreuung von jener anderer Ärzt:innen?


Das Team der Migrationsambulanz hat intensive Erfahrung mit Tuberkulose und anderen Infektionskrankheiten und Erbkrankheiten, die in Afrika, Asien oder dem Nahen/Mittleren Osten häufig vorkommen. In der Klinik Ottakring stehen dafür auch spezialisierte Labors oder weitere Untersuchungsmethoden zu Verfügung. Beim ersten Besuch wird eine ausführliche Anamnese mit Hilfe von Dolmetscher:innen erhoben und eine komplette körperliche Untersuchung sowie Basis-Laboruntersuchung durchgeführt.
Die Herkunft und Fluchtroute der Kinder wird besonders berücksichtigt, um auf gewisse Infektionserkrankungen oder Erbkrankheiten zu screenen. Bei einem Folgetermin werden die Befunde besprochen und notwendige Therapien eingeleitet, weiters wird der Kontakt zu nachbetreuenden Mediziner:innen im niedergelassenen Bereich oder sonstigen Spezialist:innen hergestellt und eventuell erste Impfungen durchgeführt.

Die Zusammenarbeit der Ambulanz mit der Abteilung für Gynäkologie bei Mädchen mit Genitalverstümmelung (FGM) und mit Organisationen wie Hemayat für eine kindgerechte Traumatherapie nach Gewalterfahrungen ist gut etabliert.
Durch die organisierte medizinische Betreuung von Migrant:innen oder Asylsuchenden durch ein erfahrenes Team und Netzwerk können gesundheitliche Probleme früh und effizient behandeln werden und traumatisierten Kindern wird die Integration in die österreichische Gesellschafft erleichtert. Sowohl lang- als auch mittelfristig erspart dies nicht nur individuelles Leid, sondern auch Geld für das Gesundheitssystem.

Wie oft findet die Migrationsambulanz statt? Wieviele Kinder können dort betreut werden?
Die Migrationsambulanz der Klinik Ottakring kann aus personellen Gründen nur einmal wöchentlich Termine anbieten. In einem Monat werde ca. 30 Kinder mit Migrations- und Fluchthintergrund, vor allem solche mit chronischen oder schweren Erkrankungen, betreut. Dabei handelt es sich natürlich nur um einen Tropfen auf den „heißen Stein“, da tausende Kinder diese spezialisierte Hilfe bräuchten.
 

Ein Beispiel aus der Ambulanz:


Ein syrisches Mädchen im Vorschulalter mit Fluchthintergrund galt seit Geburt als entwicklungsverzögert und konnte weder Deutsch noch die Muttersprache sprechen. Im Rahmen einiger Ambulanzbesuche wurde herausgefunden, dass das Mädchen eine angeborene Fehlbildung des Innenohrs hatte und deswegen gehörlos war. Es stellte sich heraus, dass bei dem Mädchen keinerlei Intelligenzminderung bestand. Bereits wenige Monate nach Erhalt eines Hörgerätes begann das Mädchen zu sprechen. Sie wird eine normale Schule besuchen können.

Vereine wie die Politische Kindermedizin oder das Referat für Transkulturelle Pädiatrie der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde versuchen seit Jahren, die Ärzteschaft und vor allem die Politik für die und besorgniserregende mangelhafte Versorgung aller Kinder und Jugendlichen in Österreich, insbesondere der geflüchteten Kinder, zu sensibilisieren und gemeinsam eine rasche Umsetzung der schon längst erarbeiteten überfälligen Vorschläge zu bewirken.


Es braucht dringend die Umsetzung folgender Forderungen:


1.    Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien und schließlich auch der Landessanitätsdirektionen der Bundesländer, um ein bundesländerübergreifend einheitliches Konzept für die Betreuung von Flüchtlingskindern sicherzustellen.
2.    Eine standardisierte Vorgehensweise und Beiziehung pädiatrischer Expertise bei der Erstuntersuchung nach Ankunft.
3.    Die Einführung eines vorgeschriebenen Gesundheitspasses für Flüchtlingskinder zum Informationstransfer, vergleichbar dem Mutter-Kind-Pass, der an allen Stellen benutzt werden muss.
4.    Die Einrichtung und Finanzierung von weiteren Spezialambulanzen oder spezialisierten Ordinationen mit multiprofessionellen Teams mit flucht- und migrationsspezifischer Kompetenz und Dolmetscher:innen in Ballungszentren.
5.    Kurzfristige Erarbeitung einer Website zur verbesserten Information und Vernetzung sämtlicher betreuender Stellen im Gesundheitswesen.
6.    Garantierte Finanzierung und Umsetzung aller im Österreichischen Impfplan empfohlenen Impfungen.
7.    Flächendeckende Organisation der medizinischen Betreuung mit einer nachgehenden Versorgung vor allem von Kindern mit chronischen Erkrankungen.
8.    Gesicherte psychiatrische/psychologische/psychotherapeutische Versorgung für Kinder mit Traumafolgeerkrankungen.
9.    Finanzierung von notwendigen funktionellen Therapien.
10.    Adäquate Honorierung notwendiger Leistungen, wie aufwendiger Anamneseerhebung bei Sprachschwierigkeiten, Dolmetschunterstützung, aufwendige Erklärung von Präventionsmaßnahmen und Therapien durch niedergelassenen Ärzt:innen.
 

Kinder oder Kinderflüchtlinge – wir wollen weg von dem Denken, dass es zwei Gruppen von Kindern gibt.
Jedes Kind gehört #besserbehandelt!


Kontakt und Information

Bild Katharina Glawischnig mit Link zur Seite von Katharina GlawischnigKatharina Glawischnig
T 01 53 212 91 - 23
glawischnig@asyl.at








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