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Debatte um Mindestsicherung: Unsere FAQs

So sicher wie das Amen im Gebet kommt vor Wahlen zuverlässig das Thema, ob geflüchtete Menschen zu viel Sozialleistungen bekommen. So wird auch jetzt die Debatte um Mindestsicherung beziehende Asylberechtigte sehr intensiv und emotional geführt. Ausgehend von einem Extrembeispiel einer neunköpfigen syrischen Familie, die in Wien 4600 Euro Mindestsicherung einschließlich Mietbeihilfe erhält, wird seit Wochen eine großteils undifferenzierte und emotionsgeladene Debatte geführt. Wir wollen die Diskussion auf eine sachliche Ebene zurückholen und haben daher folgende FAQs zusammengestellt.

Wer bekommt Mindestsicherung/Sozialhilfe?

Die Mindestsicherung/Sozialhilfe ist das unterste soziale Netz für Menschen mit geringem oder keinem Einkommen. Anspruchsberechtigt sind Personen, deren Haushaltseinkommen unter den Mindeststandards der Mindestsicherung/Sozialhilfe liegt und ihren Bedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können. Sie umfasst auch die gesetzliche Krankenversicherung und wird grundsätzlich erst ausbezahlt, wenn eigenes Vermögen aufgebraucht ist.

Neben Österreicher:innen und unter gewissen Voraussetzungen EU- und EWR-Bürger:innen sind auch Drittstaatenangehörige unter gewissen Voraussetzungen anspruchsberechtigt: Diese müssen grundsätzlich schon fünf Jahre rechtmäßig in Österreich aufhältig gewesen sein, bevor sie anspruchsberechtigt sind.

Davon ausgenommen sind Asylberechtigte, die ab Statuszuerkennung Österreicher:innen gleichgestellt sind. Damit können Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte ab dem Zeitpunkt der Schutzzuerkennung Mindestsicherung/Sozialhilfe erhalten, wobei insbesondere subsidiär Schutzberechtigte in den meisten Bundesländern lediglich Kernleistungen der Sozialhilfe erhalten, die auf die Höhe der Grundversorgung beschränkt sind. Einzelne Bundesländer (z.B. Wien und Tirol) gewähren Schutzberechtigten eine Aufstockung dieser Unterstützung im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung.

Der Bereich ist dem „Armenwesen“ zugeordnet, der grundsätzlich im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer liegt. Da jedes Bundesland hier eigene Gesetze und Richtsätze anwendet, gibt es kein bundeseinheitliches und übersichtliches System. Die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung unter Sebastian Kurz verabschiedete ein Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, mit dem eine Vereinheitlichung und Kürzung von Leistungen erwirkt werden sollte. Weite Teile dieses Gesetzes wurden aber vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben.

 

Bekommen Asylwerber:innen Mindestsicherung?

Nein. Asylwerber:innen haben keinen Anspruch auf Mindestsicherung/Sozialhilfe. Sie erhalten Unterstützung in Form der Grundversorgung, die noch weit unter Mitteln aus der Mindestsicherung liegt. Sie haben während der Dauer des Asylverfahrens weder freien Zugang zum Arbeitsmarkt noch haben sie Anspruch auf Integrationshilfe wie zum Beispiel Deutsch- oder Integrationskurse. Das ist angesichts der teils langen Dauer der Asylverfahren – in manchen Bundesländern beträgt die Wartezeit bis zur Einvernahme beim BFA bis zu zwei Jahren, bis zur Entscheidung vergehen weitere Monate – eine lange Zeit, in der keinerlei Integrationsmaßnahmen vorgesehen sind. Die logische Folge ist, dass Menschen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie dann schließlich einen Schutzstatus erhalten, noch nicht über die Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen, die für einen erfolgreichen Start am Arbeitsmarkt nötig sind. Damit landen sie oft automatisch in der Mindestsicherung/Sozialhilfe (und werden erst damit überhaupt an das AMS angebunden).

 

Wie viele Menschen in Österreich beziehen Mindestsicherung/Sozialhilfe?

Laut dem Integrationsbericht 2024 ist die Zahl der Sozialhilfebezieher:innen seit 2017 von 327.900 im Jahr 2022 auf 213.300  zurückgegangen. 2023 gab es wieder einen leichten Anstieg, aber die Zahl (219.000) liegt noch immer unter dem Niveau von 2021. In relativen Zahlen entspricht das einem Anteil von 2,3-3,7 % der Gesamtbevölkerung in Österreich. Die Kosten für die Mindestsicherung/Sozialhilfe betragen 950 Millionen Euro pro Jahr, das entspricht 0,73 % der gesamten Sozialausgaben.
Die Gruppe der Mindestsicherungsbezieher:innen setzt sich aus drei jeweils vergleichbar großen Gruppen zusammen: Österreicher:innen, Menschen mit Schutzstatus und andere Anspruchsberechtigte. In ganz Österreich beziehen 86.400 Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte Mindestsicherung/Sozialhilfe. Diese Zahl ist seit Jahren konstant.

 

Wie viele Menschen beziehen Mindestsicherung in Wien?

Die Anzahl der Mindestsicherungsbezieher:innen in Wien ist ähnlich wie in Gesamt-Österreich seit 2017 beständig gesunken. 2023 war ein leichter Anstieg zu verzeichnen, das Niveau liegt aber immer noch unter dem von 2018. Zahlenmäßig haben im Jahr 2023 rund 142.000 Personen Mindestsicherung in Wien bezogen (das sind 7 % der Wiener Bevölkerung), 62.500 davon waren Schutzberechtigte (44 % der Mindestsicherungsbezieher:innen in Wien).

 

Wie setzen sich die Schutzberechtigten in der Wiener Mindestsicherung zusammen?

Von den 62.500 Schutzberechtigten in der Wiener Mindestsicherung sind
  • 25.000 Kinder (41 %)
  • 6.500 nicht arbeitsfähig, weil sie zu krank oder zu alt sind (10 %).
  • 30.000 Personen in arbeitsfähigem Alter (49 %).
Somit verbleiben 30.000 arbeitsfähige schutzberechtigte Personen. Von diesen wiederum sind
  • 19.000 "Aufstocker" (63 %). Das sind Personen, die so wenig Einkünfte haben, dass sie den Fehlbetrag auf die Mindestsicherung ergänzt bekommen.
  • 11.000 im Vollbezug der Mindestsicherung, d.h. diese haben keine anderen Einkünfte.
Somit verbleiben 11.000 arbeitsfähige Schutzberechtigte (37 %), die die volle Mindestsicherung erhalten.

 

Warum reden plötzlich alle über Syrer und Syrerinnen?

Menschen aus Syrien gehören neben Afghanistan und der Russischen Föderation seit 2013 konstant zu den Top 3 der Herkunftsländer von Asylantragsteller:innen in Österreich.
47 % aller im Zeitraum 2012–2024 erteilten Schutztitel wurde Syrer:innen erteilt, damit sind sie die größte schutzberechtigte Gruppe. Von den rund 95.000 Syrer:innen in Österreich haben ca. 30.000 ihren Schutzstatus erst vor relativ kurzer Zeit erhalten, nämlich in den Jahren 2022/23.

Dabei geht es vor allem um Wien. 56 % aller Syrer:innen in Österreich leben in Wien – auch wenn sie Asyl und damit in jedem Bundesland den gleichen Sozialleistungsanspruch haben. Die Grafik lässt erkennen, warum Beratungsstellen und das AMS derzeit einen enormen Anstieg von Syrer:innen in ihrer Statistik verzeichnen: Mit jeder Schutzgewährung (orange) treten Syrer:innen zunächst in das Sozialleistungssystem und später auch in den Arbeitsmarkt ein.

 

Warum leben so viele syrische Flüchtlinge von der Mindestsicherung?

Der Großteil deswegen, weil sie noch nicht lange da sind. 30.000 Syrer:innen haben erst in den letzten drei Jahren Asyl und somit Anspruch auf Mindestsicherung erhalten. Da nach der Schutzgewährung zunächst einmal verpflichtend Deutschkurse vorgesehen sind, verbleiben so gut wie alle Asylberechtigten, bis sie zumindest Deutschkenntnisse auf A2 Niveau erreicht haben, in der Mindestsicherung. Somit erklärt sich, warum über die Hälfte der Schutzberechtigten in der Wiener Mindestsicherung (53 %) Syrer:innen sind: Einfach, weil sie viele und noch nicht lange da sind

 

Können wir uns das leisten?

Ja. Syrer:innen machen gerade einmal 1 % der österreichischen Bevölkerung aus. Sie sind überdurchschnittlich jung und somit größtenteils Kinder oder Personen im arbeitsfähigen Alter.

Die Grafik zur Erwerbstätigenquote (Quelle: Integrationsbericht 2024) zeigt: Fast 70 % aller ab 2015 eingereisten syrischen Männer sind bereits in Beschäftigung, zahlen Steuern und Pensionsbeiträge. Österreich musste in diese Beitragszahler:innen nicht viel investieren. Und wem 70 % zu wenig erscheinen: Die Grafik zeigt das Zuzugsjahr. Rechnen Sie ein bis zwei Jahre Asylverfahren und gut 18 Monate Spracherwerbszeit dazu.

Hier ist die Schraube, an der gedreht werden könnte: Während des Asylverfahrens bestehen kein Anspruch noch Verpflichtung zu Deutschkursen, noch gibt es genügend Kursplätze. Warum nicht schon während des Asylverfahrens auf Integrationsvorbereitung setzen – und zwar bei allen Asylwerber:innen? Das würde 12–18 Monate Mindestsicherung sparen.
Ansätze dazu gibt es. Der Gesetzgeber sieht die Möglichkeit vor, Integrationshilfe etwa für Syrer:innen schon während des Asylverfahrens zu gewähren – allein, die Kursplätze fehlen, besonders am Land, besonders für Geflüchtete mit kleinen Kindern.

 

Können wir uns eine Gesellschaft mit weniger Migration leisten?

Nein. Denn wir überaltern. Die Grafik zeigt eindrücklich, dass ausschließlich in Wien der
Anteil der gegenwärtigen und zukünftigen Beitragszahler:innen (die Altersgruppen 10–14 und 15–64, blau bzw. orange) steigt, während insbesondere der Anteil der Jungen in allen andern Bundesländern sinkt (blauer Balken).
Und das bewirkt etwas. 2024 werden 2,4 Milliarden MEHR zu Pensionen zugeschossen als 2023. Allein der zusätzliche Zuschuss in einem Jahr ist das Dreifache der gesamten Jahresausgaben für Mindestsicherung und Sozialhilfe.

Fazit: Nicht die Mindestsicherung, sondern die nachhaltige Finanzierung der Pensionen sind unser drängendstes Problem.

 

Wie können wir die Vorteile des Zuzugs fördern und die Nachteile minimieren?

Nochmals pointiert: Vorteil: Arbeitskräftepotenzial, Pensionssicherung auch für künftige Generationen. Nachteil: Mindestsicherung (außerhalb Wiens: Sozialhilfe) als Überbrückungsleistung.
Steuerungsmöglichkeiten:
  • Integrationsförderung bereits während des Asylverfahrens starten. Während des Asylverfahrens besteht nur Anspruch auf die im Vergleich zur Mindestsicherung für die öffentliche Hand weitaus billigere Grundversorgung. Wozu diese Zeit sinnlos versitzen? Deutschkurse, Kontakte mit hiesiger Bevölkerung fördern, Volontariate, Praktika, Kompetenzchecks – kann man alles machen, bevor für jeden Tag Mindestsicherung zu zahlen ist.
  • Kindergärten und Schulen fit für die Realität einer Zeit der globalen Mobilität machen.
  • Frauen fördern, ihren Zugang zur Erwerbstätigkeit erleichtern. Denn zugewanderte Frauen sind die Late Birds am Arbeitsmarkt. Das darf und wird sich ändern.

Kontakt und Information

Bild Lukas Gahleitner-Gertz mit Link zur Seite von Lukas Gahleitner-GertzLukas Gahleitner-Gertz
T 01 53 212 91 - 15
gahleitner@asyl.at






 




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