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11.12.2024

Sturz des Regimes in Syrien - 7 Fragen 7 Antworten

Das Assad-Regime ist gefallen. Syrer:innen im In- und Ausland feiern den Sturz des Regimes und die Befreiung von einer Jahrzehnte andauernden Schreckensherrschaft. Trotz dieser berechtigten Freude über die Niederlage Assads bleibt die Situation unübersichtlich und angespannt. Die bisherigen Erfahrungen mit den Islamisten des Haiʾat Tahrir asch-Scham-Bündnisses (HTS) deuten gerade nicht darauf hin, dass Syrien unter ihrer Herrschaft geeinigt, frei, demokratisch und die Rechte von Frauen* und Minderheiten wahrend regiert werden wird.
Unbeeindruckt von der unsicheren und sich laufend verändernden Lage in Syrien wird in der Bundesregierung bereits lautstark die mögliche Rückkehr von Geflüchteten vorbereitet und die „Aussetzung“ von Asylverfahren propagiert. Aber wie ist das eigentlich mit Geflüchteten aus Syrien wirklich? Wie viele leben in Österreich? Kann ihnen ein bereits gewährter Schutzstatus jetzt einfach wieder aberkannt werden? Und wann kann ein Verfahren „ausgesetzt“ werden?
Sebastian Sperner

1. Wie vielen Personen aus Syrien wurde in den letzten Jahren in Österreich Schutz gewährt?

In Österreich leben aktuell rund 95.000 Personen aus Syrien, ca. 1 % der Gesamtbevölkerung. Der Großteil von ihnen flüchtete innerhalb der letzten 10 Jahre aufgrund des Bürgerkriegs nach Österreich. Auch wenn der Konflikt im europäischen Bewusstsein nach 2015 immer mehr an Bedeutung verloren hat, zeigen die aktuellen Zahlen, dass gerade in den letzten Jahren viele Personen aus Syrien flüchten mussten und in Österreich um Schutz angesucht haben. Ca. die Hälfte der hier lebenden Syrer:innen flüchtete innerhalb der letzten 4 Jahre nach Österreich.[1]



2. Wurde Personen aus Syrien in den letzten Jahren in den meisten Fällen Schutz gewährt?

Ja. Dem absoluten Großteil an Geflüchteten aus Syrien wurde von den österreichischen Behörden ein Schutzstatus gewährt. Knapp 80.000 Syrer:innen wurde bis 2023 Asyl gewährt, dem Rest subsidiärer Schutz. Nur in wenigen Ausnahmefällen wurde Personen aus Syrien gar kein Schutzstatus zuerkannt.

Der Unterschied zwischen Asyl und subsidiärem Schutz ist vereinfacht ausgedrückt, dass bei Asyl eine persönliche Verfolgung aufgrund bestimmter Merkmale (insbesondere politische Gesinnung, Religion oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (z.B. sexuelle Orientierung) im Fokus steht, wohingegen bei subsidiärem Schutz mehr auf die allgemeine Sicherheitslage Rücksicht genommen wird.

Das bedeutet in Bezug auf Syrien, dass die österreichischen Behörden und Gerichte in den meisten Fällen zu dem Ergebnis gekommen sind, dass den betroffenen Personen aufgrund ihrer persönlichen Merkmale im Falle einer Rückkehr Verfolgung durch das Assad-Regime oder andere quasi staatliche Akteure in Syrien droht und sie deshalb Anspruch auf Schutz in Österreich haben. Nur bei Personen, bei denen dieser Anspruch verneint wurde, wurde aufgrund der anhaltenden gefährlichen Sicherheitslage subsidiärer Schutz gewährt. 



3. Kann ein Schutzstatus aberkannt werden, wenn sich die Lage verbessert?

Ja. Sowohl Asyl als auch subsidiärer Schutz können durch die zuständige Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) oder in zweiter Instanz durch das Bundesverwaltungsgericht, aberkannt werden. Es gibt mehrere Gründe, weshalb ein Schutzstatus wieder aberkannt werden kann, bei denen auch jeweils unterschiedliche Verfahrensbestimmungen zur Anwendung gelangen. Im aktuellen Kontext kommt aber insbesondere eine Aberkennung aufgrund des Wegfalls der Gründe, die zur Schutzgewährung geführt haben, in Frage.

Dabei wird in einem eigenen Verfahren ("Aberkennungsverfahren") – genauso wie bei Prüfung eines Asylantrags (Asylverfahren) – geprüft, ob sich 1. die Situation in Bezug auf die Gefahren im Herkunftsland nachhaltig und dauerhaft verändert hat und daher ein anderer Sachverhalt wie damals bei Zuerkennung des Schutzstatus vorliegt und 2. ob aufgrund der aktuellen Situation der betroffenen Person Schutz zu gewähren ist.[2] Diese Prüfschritte sind sowohl bei der Aberkennung von Asyl als auch subsidiärem Schutz vorzunehmen.

Vereinfacht ausgedrückt heißt das: In einem Aberkennungsverfahren muss zunächst geprüft werden, ob sich die Situation tatsächlich nachhaltig und dauerhaft verändert und derartig verbessert hat, dass die Voraussetzungen für die damalige Schutzgewährung nicht mehr vorliegen. In einem zweiten Schritt muss dann quasi ein „neues“ Asylverfahren durchgeführt werden, also geprüft werden, ob der betroffenen Person aktuell eine persönliche Verfolgung droht oder die gefährliche Sicherheitslage eine Rückkehr nicht möglich macht.

Bei Asyl kommt eine Aberkennung nur in den ersten fünf Jahren nach Statuszuerkennung in Frage. Danach ist die Aberkennung nur dann möglich, wenn die betroffene Person straffällig wurde oder, wenn bereits ein anderer Aufenthaltstitel erteilt wurde. Bei subsidiärem Schutz gibt es keine derartige Frist.



4. Was bedeutet "Verbesserung der Lage" bzw. "Wegfall der Gründe" konkret?

Die Gerichte haben sich bereits wiederholt damit auseinandergesetzt, wann tatsächlich von einer Verbesserung der Lage bzw. einem Wegfall der Gründe bzw. Voraussetzungen, die zur Schutzgewährung geführt haben, ausgegangen werden kann.[3]

Klar ist, dass es dabei erneut einer konkreten Überprüfung des Einzelfalls und der Sicherheits- bzw. Verfolgungsgefahren bedarf und nicht pauschal aufgrund veränderter Machtverhältnisse gesagt werden kann, dass alle Personen aus einem bestimmten Land ihren Schutzanspruch verloren haben. Wie auch in einem Asylverfahren muss in einem Aberkennungsverfahren konkret auf die Situation und die drohenden Gefahren der betroffenen Person Bedacht genommen werden.[4]

Zentral ist zudem: Nicht jede Veränderung der Lage in einem Krisen- bzw. Kriegsstaat ist unmittelbar als Verbesserung zu qualifizieren, die eine Aberkennung eines Schutzstatus rechtfertigt. Es bedarf einer nachhaltigen und dauerhaften Verbesserung der Lage um in rechtlicher Hinsicht überhaupt zu dem Schluss gelangen zu können, dass ein neuer Sachverhalt vorliegt und daher die vormalige Schutzgewährung neuerlich überprüft werden soll.

Hinsichtlich der Dauerhaftigkeit von relevanten Veränderungen heißt es in einer Publikation von UNHCR, dass "eine Situation die sich änderte, sich jedoch auch weiterhin ändert oder Anzeichen von Volatilität zeigt, per Definition nicht stabil ist und aus diesem Grund auch nicht als dauerhaft beschrieben werden kann".[5]

Auch der Verwaltungsgerichtshof spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit, dass "eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse" eingetreten sein muss, "für deren Beurteilung es in der Regel eines längeren Beobachtungszeitraumes bedarf".[6]



5. Ist die aktuelle Situation in Syrien als Verbesserung der Lage zu bewerten?

Nein. Aus rechtlicher Sicht ist es geradezu absurd, nach einem gerade erst stattgefundenen Sturz eines Regimes durch islamistische Milizen davon auszugehen, dass sich die Situation in Syrien nachhaltig und dauerhaft verändert hat und die Voraussetzungen für die Schutzgewährung weggefallen sind.

Zum einen ist es aufgrund der sich ständig verändernden Lage einfach nicht möglich, eine Prognose darüber zu treffen, wie das neue Regime ausschauen wird und ob dadurch tatsächlich eine Verbesserung der Lage eintritt.[7]

Zum anderen wird das Haiʾat Tahrir asch-Scham-Bündnis (HTS) sowohl von den USA als auch von der EU als Terrororganisation qualifiziert und ist gerade nicht dafür bekannt, sichere und rechtsstaatliche Verhältnisse herzustellen. Konkret wird es insbesondere darum gehen festzustellen, ob die innerstaatliche Konflikte zu einem Ende kommen und ob es eine nachhaltige Änderung in den staatlichen Strukturen gibt, etwa bei den gefürchteten Geheimdiensten.

Für Schutzberechtigte aus Syrien heißt das: Es darf aufgrund der aktuellen Situation wohl gehofft werden, dass das Assad-Regime in seiner alten Erscheinungsform keine Verfolgungshandlungen mehr setzen kann. Es ist derzeit aber in keiner Weise feststellbar bzw. keine seriöse Prognose darüber möglich, wie eine neuer syrischer Staat ausschauen wird, wie sich die Sicherheitslage entwickelt und inwiefern bereits nach Österreich geflüchtete Personen auch unter dem neuen Regime Verfolgung fürchten müssen. Gerade auch die Frage, ob staatliche Strukturen – von denen in vielen Fällen die Verfolgungsgefahr im Hinblick auf syrische Geflüchtete ausgeht – aufrechterhalten bleiben oder tatsächlich und nachhaltig reformiert bzw. abgeschafft werden, kann derzeit wohl noch von niemandem ernstzunehmend beantwortet werden.



6. Was bedeutet es jetzt, wenn die Regierung von der „Überprüfung“ von Asylgewährungen spricht?

Bundeskanzler Karl Nehammer hat einen Tag nach dem Sturz des Assad-Regimes „Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) beauftragt, alle laufenden syrischen Asylanträge auszusetzen bzw. alle Asylgewährungen zu überprüfen".[8]

Wie oben dargelegt rechtfertigt die aktuelle Lage keinesfalls die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens. Es bedarf für die „Überprüfung von Asylgewährungen“ konkreter Anhaltspunkte bzw. Berichte über die Lage und die zu erwartende Entwicklung in Syrien, um tatsächlich eine Veränderung der Lage bzw. den Wegfall der Gründe prüfen zu können. Dass der Bundeskanzler einen Tag nach dem Sturz des Regimes bereits die Überprüfung von Asylgewährungen anordnet, ist daher mehr als erstaunlich und rechtlich wie auch aus praktischer Sicht nicht nachvollziehbar. Anhand welcher Berichtslage soll denn konkret überprüft werden, ob weiterhin ein Schutzanspruch besteht?

Asylentscheidungen werden zum Glück nicht auf Basis von Bauchgefühlen oder – letztlich unfundierten – Annahmen von Politiker:innen, sondern auf Grundlage von detaillierten und aktuellen Länderberichten getroffen.

In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass Außenminister Schallenberg noch im Juli 2024 dafür plädiert hat, mit dem Assad-Regime zusammenzuarbeiten: „Wir müssen als Europäer endlich einsehen, dass es ohne Assad keine Lösung in Syrien geben wird".[9] Abseits davon, dass eine von der Bundesregierung angestrebte Zusammenarbeit mit dem Unrechtsregime von Assad mehr als bedenklich ist, hat sich diese Prognose offenkundig als falsch erwiesen. Unklar bleibt, weshalb nunmehr im Lichte einer noch viel unübersichtlicheren Lage eine nachhaltige Prognose möglich sein sollte.

Die Krux an der „Überprüfung“ von Asylgewährungen ist aber, dass damit dem Familiennachzug ein von einem Teil der Regierung viel ersehnter Riegel vorgeschoben werden kann. Ist nämlich ein Aberkennungsverfahren gegen die in Österreich aufhältige Bezugsperson anhängig, kann diese Person keine Familienangehörigen über die Bestimmungen des Asylgesetzes nach Österreich nachholen. Diese Vorgangsweise wäre aber unserer Meinung nach rechtswidrig, da die derzeitige unübersichtliche Lage in Syrien die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht rechtfertigt.



7. Und was bedeutet es, wenn die Regierung von der „Aussetzung“ von Asylverfahren spricht?

Zeitgleich mit der Forderung nach der „Überprüfung“ von Asylgewährungen hat die Regierung auch ohne Zeit für konstruktive Vorschläge zu verschwenden angeordnet, dass laufende Asylverfahren ausgesetzt und Rückführungen vorbereitet werden sollen.[10] Diese Aussage ist im Lichte der aktuellen Entwicklung zu gleichen Teilen unsensibel wie auch rechtlich irreführend.

Asylverfahren können nicht einfach „ausgesetzt“ werden, weil sich die Lage in einem Herkunftsland laufend verändert. Klar ist, dass es in laufenden Asylverfahren im Lichte der aktuell unübersichtlichen Lage in Syrien schwierig ist zu überprüfen, ob eine Person konkrete Verfolgungsgefahr zur befürchten hat. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch in rechtlicher Sicht nicht die „Aussetzung“ eines Verfahrens. Diese Vorgangsweise ist insbesondere dann möglich, wenn eine Vorfrage – das heißt eine nicht unmittelbar im Asylverfahren zu prüfende Frage – von einer anderen Behörde zu lösen bzw. klare Rechtsprechung der Höchstgerichte zu einer bestimmten Rechtsfrage fehlt. Eine sich verändernde Sicherheitslage bzw. der Sturz eines Regimes fällt in keine dieser Kategorien.

Zwar ist es nachvollziehbar, dass die Behörde bzw. das Gericht erst ermitteln muss, wie die derzeitige Lage zu beurteilen ist. Es ist aber irreführend, wenn der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang von der „Aussetzung“ von Asylverfahren spricht. Letztlich sieht das Gesetz nämlich auch für solche Fälle eine klare Lösung vor: Bleibt die Situation aufgrund des Umsturzes weiterhin gefährlich und nachhaltig derart unübersichtlich, dass eine Gefahr für Leib und Leben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht bzw. eben nicht mit gebotener Sicherheit ausgeschlossen werden kann, wird ein Schutzstatus zu gewähren sein. Da gerade kein Grund für die Aussetzung des Verfahrens vorliegt, ist die Behörde sogar dazu verpflichtet innerhalb der Entscheidungsfrist von sechs Monaten eine Entscheidung über einen Asylantrag zu fällen. Sollte es dann in weiterer Folge zu einer Konsolidierung der Verhältnisse und folglich zu einer nachhaltigen und dauerhaften Verbesserung der Lage kommen, könnte dieser Schutzstatus einer neuerlichen Überprüfung unterzogen werden. Die Aussetzung jeglicher Asylverfahren in Bezug auf Syrien ist daher im Lichte der aktuellen Entwicklungen weder rechtlich gedeckt, noch sinnvoll.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Syrien bereits Rückführungen vorbereiten zu wollen, ist unserer Meinung nach als rein populistische Forderung zu verstehen, die rechtlich nicht gedeckt ist. Abschiebungen von Personen, denen bereits Schutz gewährt wurde bzw. die sich noch im Asylverfahren befinden, scheidet aufgrund der gefährlichen und unübersichtlichen Situation in Syrien derzeit kategorisch aus. Diesbezüglich hat sogar die EU-Kommission klare Worte gefunden, wonach die „Bedingungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr nach Syrien […] nach derzeitiger Einschätzung momentan nicht gegeben“ sind.[11]

Die von der Regierung propagierte "Aussetzung" von Asylverfahren hat jedenfalls nicht zur Folge, dass neue Asylanträge oder auch Verlängerungsanträge von subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr geprüft werden. Für Betroffene ist es daher essentiell - auch entgegen anscheinend von der Behörde teilweise bereits verbreiteter Informationen – entsprechende Anträge fristgerecht einzubringen bzw. auf die Annahme der Anträge zu bestehen. Sollte es in diesem Zusammenhang zu Problemen kommen, sollte umgehend Rechtsberatung in Anspruch genommen werden.
[2] VwGH 19.03.2024, Ra 2022/18/0233, RS 1
[3] Jakob Fux/Sebastian Sperner, Änderung der maßgeblichen Umstände – Aberkennungen des Status des:der subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs 1 Z 1 2. Fall AsylG, Jahrbuch Asylrecht und Fremdenrecht 2019, 191.
[4] VwGH 29.06.2020, Ro 2019/01/0014, RS 8
[5] Fitzpatrick/Bonoan, Cessation of refugee protection, in Feller/Türk/Nicholson, Refugee Protection in International Law – UNHCR's Global Consultations on International Protection (2003) 491 (496).
[6] VwGH 16.02.2006, 2006/19/0032
[7] Einschätzung des Politikwissenschaftlers Peter R. Neumann auf X

Kontakt und Information

Sebastian Sperner

T 01 53 212 91 - 22
sperner@asyl.at

 

 




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