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24.1.2024

Realitätsverweigerung & Problembewirtschaftung: ÖVP-„Österreichplan“

Ende Jänner 2024 hat die ÖVP die Präsentation ihrer Vision für Österreich durch Kanzler Nehammer angekündigt. Vorab wurden nun die zentralen Punkte im Bereich Asyl und Migration bekannt. Die asylkoordination österreich hat eine Kurzanalyse vorgenommen.
Lukas Gahleitner-Gertz

ÖVP-„Österreichplan“ im Bereich Asyl und Migration: Realitätsverweigerung und Problembewirtschaftung

Vorgeschlagene Maßnahmen entweder vage, nicht zielführend oder ohnehin bereits geltende Rechtslage
 

Es soll kommen… was es schon gibt


Die ÖVP kündigt eine harte Gangart gegenüber Asylwerber:innen an: Bei der Einreise soll Bargeld abgenommen werden. Nur: Das ist schon geltende Rechtslage. § 39 BFA-VG sieht vor, dass mitgeführtes Bargeld abgenommen werden kann. Wie die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage von NEOS-Abgeordneten Steffi Krisper durch das ÖVP-geführte Innenministerium zeigt, wurden 2023 bis Ende August von 1.816 Personen insgesamt € 144.000 sichergestellt.

Weiters kündigt die ÖVP Bewegungseinschränkung von abgelehnten Asylwerber:innen an. Auch hier: Diese gibt es schon. Weigert sich ein Drittstaatsangehöriger, gegen den eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, auszureisen, kann diesem gemäß § 57 Fremdenpolizeigesetz aufgetragen werden, „in vom Bundesamt bestimmten Quartieren des Bundes Unterkunft zu nehmen.“ Ein Verstoß gegen diese Wohnsitzauflage wird mit einer Strafe bis zu € 1.000 geahndet, bei Nichteinbringung droht eine Freiheitsstrafe.

Schlussendlich fordert die ÖVP den „konsequenten Entzug von Asyl bei Urlaub im Heimatland.“ Hierzu darf die Partei, die seit mehr als 20 Jahren fast durchgehend die Leitung des zuständigen Innenministeriums besetzt, auf Artikel 1.C. der von der Republik Österreich ratifizierten Genfer Flüchtlingskonvention verwiesen werden: Demnach fällt eine Person nicht mehr unter den Schutz des Abkommens, wenn sie sich freiwillig dem Schutz des Herkunftslandes unterstellt. Das findet auch Niederschlag in der geltenden Rechtslage in § 7 Abs 1 Z 2 des österreichischen Asylgesetzes. Ein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus wird in der Praxis schon bei wahrgenommenen „Reisebewegungen“ eingeleitet. Das bedeutet: Oft sind Asylberechtigte mit Aberkennungsverfahren konfrontiert, wenn sie etwa in das Nachbarland ihres Herkunftslandes reisen, um dort Familienangehörige zu treffen. Von Jänner bis August 2023 wurde vom Bundesamt für Fremdewesen und Asyl fast 200 mal ein solches Verfahren eingeleitet.

Das Fordern von Maßnahmen, die die geltende Rechtslage bereits vorsieht, ist entweder auf massive Ahnungslosigkeit oder eine faktenbefreite PR-Politik zurückzuführen.
 

Sinnlose Härte, die alle trifft


Ein zentraler Stellenwert kommt aber jedenfalls den angekündigten Verschärfungen im Sozialhilfesystem zu: Fürderhin soll ein Anspruch auf Sozialhilfe an eine 5-jährige Wartefrist geknüpft werden. Das ist aber nur dann legistisch denkbar, wenn es – wie in Dänemark – auf alle, also auch österreichische Staatsbürger:innen so angewandt wird. Man will vorgeblich Ausländer:innen treffen, dahinter steckt aber eine generelle Kürzung von Sozialleistungen für alle.

Wie das Vorbild Dänemark zeigt, erreicht man dadurch aber nicht das intendierte Ziel: Eine Studie des dänischen Rockwool Research Institute belegt, dass dadurch vor allem Armut gefördert und die Kriminalitätsrate erhöht wird. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass dieser Punkt von der ÖVP im Themenbereich „Sicherheit“ verkauft wird.

Dass die ÖVP nun ihre Forderung einer Arbeitspflicht von Asylwerber:innen für gemeinnützige Tätigkeiten auf alle Sozialhilfebezieher:innen ausdehen will, wirft viele Fragen auf: Es gibt bereits nicht einmal für Asylwerber:innen ausreichend Tätigkeiten, wie sollen hier Tätigkeiten für alle Sozialhilfebezieher:innen geschaffen werden? Was sind die Konsequenzen, wenn sich jemand weigert, dieser „Pflicht“ nachzukommen?
 

Uninspirierter „Plan“


Die präsentierten Punkte sind im Wesentlichen ein uninspiriertes Wiederkäuen altbekannter ÖVP-Positionen und der geltenden Rechtslage. Es wird zwar ein Bedarf von 200.000 Arbeitskräften beklagt, als einzige greifbare Maßnahme wird die Ausstellung der Rot-Weiß-Rot-Karte „binnen 72 Stunden“ angekündigt. Wie das umgesetzt werden soll und welche Kosten damit verbunden sein werden, verrät das schüttere Papier nicht. Auch die Forderung, Entwicklungshilfe künftighin an „Nicht-Auswanderungsstrategien“ zu knüpfen, ist einigermaßen originell. Andere Staaten sollen „keine weiteren Unterstützungsgelder erhalten sollen, sofern diese nicht effektive Maßnahmen gegen Massenauswanderungen aus ihren Ländern setzen“. Es bleibt offen, ob hier mit dem Bau von Mauern ein ausreichender Nachweis erbracht wird.
 

Perspektivische Nullnummer


Aussagekräftig ist vielmehr, was im „Österreichplan“ nicht vorkommt: In Österreich sind derzeit fast 70.000 Ukrainer:innen aufhältig, deren Aufenthaltstitel im März 2025 auslaufen. Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht in Sicht, eine Perspektive wird diesen Menschen, deren Arbeitgeber:innen, Aufnahmegemeinden und Schulen von der Kanzlerpartei aber nicht geboten. Dabei wäre genau das wichtig, um eine Integration in den Arbeitsmarkt fördern und das waiting dilemma der Betroffenen zu beenden.

Die angekündigte Umstellung von Geld- auf Sachleistungen für Asylwerber:innen lässt leider die Kostenwahrheit vermissen: Die anzuschaffenden Bezahlsysteme werden Mehrkosten für die Steuerzahler:innen verursachen. Darüber hinaus gibt es menschen- und grundrechtliche Bedenken, die von unserer deutschen Partnerorganisation Pro Asyl ausführlich erörtert wurden.

Anstatt Mehrkosten zu produzieren, wäre eine grundlegende Reform des Grundversorgungssystems notwendig. Auch dazu findet sich aber nichts: Es ist daher davon auszugehen, dass unter einem ÖVP-geführten Innenministerium weiterhin unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unzureichend betreut werden, Aufnahmegemeinden im Stich gelassen werden und die nächste Unterbringungskrise so sicher wie das Amen im Gebet kommen wird.
 

Zukunftsloses Retroprogramm


Die Eckpunkte des ÖVP-Plans für Österreich im Asyl- und Migrationsbereich lassen nicht nur die wesentlichen Fragen unbeantwortet. Diese Fragen werden nicht einmal erkannt oder gestellt:

75% derer, die in der Inaktivitätsfalle Grundversorgung sitzensind nicht Asylwerber:innen, sondern Schutzberechtigte: Wie schaffen wir hier einen besseren Übergang in den Arbeitsmarkt bzw ein selbstbestimmteres Leben?

Österreich leistet EU-weit überproportional viel, Länder wie Ungarn verletzen vorsätzlich Aufnahmebedingungen für schutzsuchende Menschen: Was kann Österreich tun, um diesen sanktionslosen Rechtsbruch anderer EU-Staaten zum Nachteil Schutzsuchender und Österreichs zu beenden?

Das präsentierte "Programm" ist für eine Partei, die seit Jahrzehnten für das Asylressort zuständig ist, eine peinliche Bankrotterklärung: Probleme werden bewirtschaftet, die Nichtumsetzbarkeit der vorgeschlagenen "Lösungen" wird weitere Frustration bei der wählenden Bevölkerung auslösen. Der ÖVP wird das nicht nützen.




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