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Bericht aus Lesbos und Athen

Unsere Kooperationspartnerin Doro Blancke ist seit vielen Jahren für Geflüchtete im Einsatz. Seit 2020 ist sie dort, wo es besonders weh tut: In Griechenland, insbesondere auf Lesbos unterstützt sie zusammen mit anderen NGOs jene mit dem Nötigsten, die gerade angekommen sind, aber auch anerkannte Geflüchtete, die nach einem positiven Asylbescheid mittellos und ohne Aussicht auf staatliche Unterstützung auf der Straße stehen. In einem eindrücklichen Bericht schildert sie uns die aktuelle Situation auf den griechischen Inseln und auf dem Festland.

Seit mehr als 4 ½ Jahren an den EU-Außengrenzen/Griechenland/Lesbos, in denen wir nicht nur Hilfe vor Ort leisten, sondern auch die Umstände hier dokumentieren, finden wir es wichtig, auch die Situation am Festland zu betrachten und Fakten zu sammeln.

Dafür sind wir im regelmäßigen Austausch mit unseren Kooperations-Partner:innen von DCI  (Defence Children International Greece), den Asyljuristinnen Nantina Tsekeri und Iris Pappa, Akteur:innen auf anderen Inseln, am Festland und mit Geflüchteten selbst.

Von 20. bis 22. November waren wir mit Nantina und Iris in Athen und Umland unterwegs. Was wir gesehen haben, war mehr als schockierend, hinterließ uns sehr nachdenklich und traurig.
 
Doro Blancke mit Nantina Tsekeri und Iris Pappa
Bei DCI Greece in Athen

Die politisch bewusst gesteuerte Abschreckungspolitik hat auf die Geflüchteten katastrophale Auswirkungen und wird mit dem Inkrafttreten von GEAS (Gemeinsames Europäische Asyl- und Migrationssystem) noch grausamer werden. Diese Politik wird vieles zu verantworten haben, mit sich bringen – nachhaltige Probleme für Geflüchtete, sowie auch für die europäische Gesellschaft gleichermaßen. Hier wird täglich Europäisches Recht und Menschenrecht gebrochen, um nicht zu sagen, mit Füßen getreten.   
 


Athen: Refugee Camps Malakasa und Rizona

Die Camps sind (bewusst?) am Limit ihrer Kapazität. Die Menschen erhalten weder Rechtsberatung noch ausreichend Versorgung, keine medizinische und psychologische Betreuung. Im Rizona Camp ist im Moment kein einziger Arzt. Auch kaum NGOs hier, weil so abgelegen.
 
Vor dem Camp

Besonders für Frauen und Minderjährige ist das eine katastrophale Situation. Wir treffen allein reisende Frauen, die alle trotz FGM, sexualisierter Gewalt, Zwangsehen, usw., einen negativen Asylbescheid haben.  Nach Erhalt des negativen Bescheids werden sie von der Essensversorgung ausgeschlossen. Viele versuchen, sich mit prekär unterbezahlter Arbeit am Leben zu halten, oder noch schlimmer, sie werden in die Prostitution gezwungen. Auch Menschen-, Organ- und Drogenhandel stellen eine große Gefahr dar.

In den letzten Wochen sind 200 registrierte Minderjährige verschwunden. Man rechtfertigt das, wie so oft, mit „wahrscheinlich weitergereist“. Der Straßenstrich in Athen, unweit des Victoria Square, wo ausschließlich junge Geflüchtete ihre „Dienste“ anbieten, spricht eine andere Sprache.
 

Athen


HELIOS – Integrationsprojekt

Helios, das einzige staatliche Integrationsprogramm in Griechenland, ist derzeit, wie beinahe üblich, geschlossen. Anerkannte Geflüchtete bekommen also in der Praxis keinerlei Unterstützung, um sich zu integrieren, den Weg in ein selbständiges Leben zu finden. Keine Griechisch-Kurse, kaum jemand gibt Wohnungen an Geflüchtete, die keine Arbeit haben, usw.

Geflüchtete, darunter auch viele Kinder, leben oft zu zwanzigst in einer kleinen, ungeheizten Wohnung, die von „Unterhändlern“ völlig überteuert „vermietet“ werden. Kinder sind extrem belastenden Umständen ausgesetzt, völlig verzweifelte Eltern neben sich, weitere Traumata und Retraumatisierungen sind die Folge. Auch wenn offiziell verpflichtend, kaum Zugang zu Schulen und Kindergärten.


Lebensmittelverteilung auf der Insel


Griechische Inseln

Ein Großteil der Neuankommenden landet auf einer der griechischen Inseln. Im Moment ist Lesbos wieder der Hotspot. Mit aktuell 3400 Personen hat das CCAC Camp Mavrovouni/Lesbos seine praktischen Kapazitäten bereits erreicht. Ankunftszahlen sind ca. 120 Personen täglich.

Mehrere Wochen konnten die Neuankömmlinge nicht mal mit einer Decke versorgt werden. All dies in Zelten, bei 7-8 Grad und eisigen Meeresstürmen.

Die medizinische Versorgung ist katastrophal, ein bis maximal zwei Ärzt:innen stundenweise. Die Essensausgabe findet einmal täglich statt, nach Kalorien abgezählt. Zufällig ist der Caterer auch verwandt mit politischen Akteuren. Die Duschen haben zwar Solarbetrieb, aber bei bewölkten Tagen, wie jetzt im Winter, gibt es kein heißes Wasser.

Die Geflüchteten werden vollkommen sich selbst überlassen, einen Großteil der Care-Arbeiten übernehmen NGOs wie wir, die außerhalb des Camps arbeiten. Wir wurden vom Camp-Management (EUAA - European Asylum Office) angefragt, ob wir mit Decken unterstützen können. Wir haben sofort 700 gekauft und erwarten jetzt noch ca. vier Paletten aus der Deckensammlung in Österreich – danke an alle Unterstützer:innen.
 
Deckensammlung

Prinzipiell eine inakzeptable Situation, dass NGOs sich um die Grundrechte der Menschen kümmern müssen, wo Staat bewusst versagt. Dies wurde von uns auch in einem offenen Brief an die Europäische Kommission kundgetan, wir warten bis heute auf eine Antwort.

So intensiv die illegalen Pushbacks seitens der Griechischen Küstenwache/HCG die letzten Monate betrieben wurden, im Moment scheint es so, als ließe man „viele Menschen kommen“.

Mein persönlicher Eindruck ist, man lässt die Situation hier an den Außengrenzen absichtlich und sichtbar eskalieren, um später die Aufnahmecamps außerhalb der Europäischen Union rechtfertigen zu können (à GEAS – Gemeinsames Europäisches Asylsystem).

Die Lage in Griechenland ist dermaßen katastrophal und menschenunwürdig, dass die anerkannten Geflüchteten zur Weiterreise in andere europäische Länder quasi gezwungen werden – Sekundärmigration. Dass jetzt sowohl österreichische als auch deutsche Gerichte eine Rückführung, von in Griechenland anerkannten Geflüchteten, nach Griechenland entscheiden, ist für alle Akteur:innen, die die Lage hier vor Ort kennen, in keinster Weise nachvollziehbar. Die Menschen landen in der Obdachlosigkeit und sind dadurch großen Gefahren ausgesetzt.


Deckenlieferung

Was ich mich immer wieder frage: Wer übernimmt die Verantwortung für die katastrophalen gesellschaftlichen Folgen dieser Politik? Wir reden über die Gefahren von Ghettowirkungen, Drogenkonsum, genauso wie über Radikalisierungen. All die Zustände hier vor Ort fördern all diese Problematiken und verhindern somit auch sukzessive ein friedliches Zusammenleben, gute Integration in der Zukunft. Wie sollen Menschen, die sofort nach Eintritt in Europa so gedemütigt werden, zu uns, den Europäer:innen Vertrauen aufbauen?

Im Sinne von uns allen sollten wir dringend eine menschenwürdige Behandlung von Geflüchteten und marginalisierten Gruppen fordern. Nur so kann meiner Meinung nach friedliches Zusammenleben gelingen.

Doro Blancke
GFin Flüchtlingshilfe/Refugee Assistance
www.doroblancke.at

Mehr über die Hilfsangebote von Doro Blancke Flüchtlingshilfe und Spendenmöglichkeiten finden Sie auf ihrer Webseite, sowie auf Facebook, Instagram und Bluesky (@doroblancke.bsky.social).

Aktuelle Zahlen über die Ankünfte in Griechenland (und anderen Ländern) von UNHCR Greece finden Sie hier.

   
 




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