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Menschenrechte unter Beschuss: Die aktuelle Situation in Afghanistan

Der kürzlich veröffentlichte UNAMA-Bericht  über die De-facto-Behörden "für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters"  in Afghanistan und ihre Eingriffe in grundlegende Menschenrechte zeichnet ein düsteres Bild – vor allem für afghanische Frauen.
Regina Winkler

Seit der Übernahme Afghanistans durch die Taliban im August 2021 hat sich die Situation der afghanischen Bevölkerung und insbesondere der afghanischen Frauen dramatisch verschlechtert. Kurz nach der Machtübernahme lösten die Taliban das Frauenministerium auf und errichteten an seiner Stelle den Sitz des Ministeriums für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters mit lokalen Behörden in den afghanischen Provinzen. Die Neuauflage dieser „Religionspolizei“ dient wie schon in der ersten Periode der Taliban der Durchsetzung strenger moralischer und religiöser Vorschriften und der Bekämpfung allen „unislamischen“ Verhaltens. Die durchgesetzten Maßnahmen haben – damals wie heute – weitreichende negative Auswirkungen auf die Lebenssituation insbesondere der weiblichen Bevölkerung Afghanistans. Der von der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) erstellte Bericht vom Juli 2024  verzeichnet gravierende Menschenrechtsverstöße in dem von der internationalen Staatengemeinschaft nach wie vor nicht anerkannten Land.
 

Einschränkung der Bewegungsfreiheit

Frauen dürfen nur noch in Begleitung eines männlichen Verwandten (Mahram) reisen. Dies gilt per Dekret für Strecken, die weiter als 78 Kilometer vom Wohnort wegführen. Doch auch kürzere Distanzen sind aufgrund der strengen Kleidervorschriften mit erheblichen Hürden und Risiken verbunden, da Fahrer nur jene Frauen ohne Mahram mitnehmen dürfen, die sich dem Hijab-Gesetz (Verschleierung durch wahlweise Hijab oder Tschador) entsprechend verhüllen. Das schränkt die Bewegungsfreiheit der Frauen erheblich ein und macht sie abhängig von männlichen Familienmitgliedern. Für die Frauen bedeutet das nicht nur eine Einschränkung in der Erledigung alltäglicher Tätigkeiten, sondern auch und vor allem einen massiv erschwerten Zugang zu Bildung, Arbeit und medizinischer Versorgung.
 

Verwehrtes Recht auf Bildung

Unter der Herrschaft der Taliban dürfen Mädchen in Afghanistan nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen. Danach ist ihnen der Zugang zu weiterführender Bildung verwehrt. Diese Regelung trat kurz nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 in Kraft und wurde im Dezember 2022 auch auf Universitäten ausgeweitet. Diese Einschränkung beeinträchtigt nicht nur die individuelle Perspektive der betroffenen Mädchen und Frauen massiv, sondern führt langfristig zu einem Mangel an weiblichen Fachkräften wie Ärztinnen und Lehrerinnen.
 

Arbeit und wirtschaftliche Teilhabe

In ihren Arbeitsmöglichkeiten sind afghanische Frauen ohnedies stark eingeschränkt, da sie seit der Machtübernahme aus so gut wie allen Bereichen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens ausgeschlossen sind. Überall dort, wo Männer und Frauen aufeinandertreffen könnten, ist Frauen der Zutritt mehr oder weniger untersagt. Besonders deutlich kommt das im Arbeitsverbot für Frauen in NGOs oder internationalen Organisationen zum Ausdruck. Aber auch reine Frauendomänen wie etwa Kosmetiksalons sind den strengen Vorschriften der Taliban zum Opfer gefallen, was viele Einzel- und Kleinstunternehmerinnen ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt und sie mitsamt ihren Familien in Not gebracht hat.
 

Frauen in der Öffentlichkeit

Der Zugang zum öffentlichen Raum ist für Frauen stark begrenzt. Parks, Fitnessstudios und öffentliche Bäder sind für sie verboten. Diese Einschränkungen beschneiden das Recht auf öffentliche Teilhabe deutlich und schaden der psychischen sowie der körperlichen Gesundheit. Einen besonders krassen Einschnitt stellt diese Maßnahme beispielsweise für Frauen dar, die in den Wintermonaten sonst keinen Zugang zu warmem Wasser (oder aufgrund gefrorener Leitungen zu Wasser überhaupt!) haben.
 

Sexuelle und reproduktive Rechte

Die geschlechtsspezifische medizinische Versorgung ist durch die zuvor genannten Einschränkungen (Mahram-Pflicht, Hijab-Pflicht, Berufs- und Ausbildungsverbote) deutlich erschwert. Eine selbstbestimmte Sexualität und Familienplanung wird darüber hinaus durch mangelnde Aufklärung und eingeschränkten Zugang zu Verhütungsmitteln verhindert. So berichtet UNAMA, dass in einzelnen Provinzen die lokalen Gesundheitsversorger zumindest vorübergehend angewiesen wurden, keine Verhütungsmittel auszugeben.
 

Bartlänge und Hijab, Musik und Nowruz

Während Frauen sich an das Hijab-Gesetz halten müssen (Sanktionen richten sich zuerst gegen den Mahram), haben Männer Vorschriften zu Bartlänge und Frisur einzuhalten. Allgemein sind Abbildungen von Menschen oder Tieren verboten, ebenso wie das (Ab-)Spielen von Musik oder das Hookah-Rauchen. Feste wie das persische Neujahr (Nowruz) oder der Valentinstag sind unislamisch und dementsprechend verboten.
 

Bestrafungen

Die Taliban haben ein Klima der Angst geschaffen, indem sie ihre restriktiven Regeln mit brutalen Maßnahmen durchsetzen. UNAMA berichtet von mindestens 1033 Fällen gewaltsamer Durchsetzung der Regelungen im Zeitraum August 2021 bis März 2024. Tatsächlich ist von einer weit höheren Zahl auszugehen, da UNAMA für diesen Bericht nur jene Fälle zählt, die eindeutig belegbar sind. Die Strafen sind hart und grausam und erscheinen mangels eines klaren - insbesondere eines klar kommunizierten -  Rechtssystems willkürlich: Sie reichen von Einschüchterungen und Inhaftierungen bis hin zu körperlicher Bestrafung durch Stockhiebe, öffentliche Auspeitschung oder Steinigung.

Internationale Menschenrechtsorganisationen haben die Taliban wiederholt für ihre schweren Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Sie fordern die De-facto-Behörden auf, die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen zu respektieren und die Rechte aller Afghan:innen zu schützen und zu fördern.
 


 


 




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