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24.4.2025

Marwan: Der steinige Weg zur Familienzusammenführung

Marwan ist mit 14 Jahren aus Syrien geflohen. Im Sommer 2022 nahm er den gefährlichen Weg über die Türkei nach Europa auf sich und erhielt rasch Asyl. Er lebt inzwischen bei seinem Bruder in Wien, doch darauf, seine Eltern und seine beiden anderen Geschwister wiedersehen zu können, wartet er noch.

Flucht aus Syrien
 

Mein Name ist Marwan Alhassun. Ich wurde am 01.01.2008 in einem kleinen Dorf nahe Aleppo in Syrien geboren. Der Krieg prägte mein Leben von Anfang an. Ich erinnere mich kaum an eine Zeit ohne Krieg. Schon als ich erst drei Jahre alt war, traf eine Rakete unser Haus. Ich schlief gerade, als das Feuer ausbrach. Ich überlebte, aber die Verletzungen blieben – sichtbare Narben auf meiner Haut, meinem Gesicht, meinem Körper, Verbrennungen und nur noch 30 % Sehkraft auf meinem linken Auge.

Drei Jahre nach dem, was passiert war, lag ich im Bett. Auch meine Mutter, mein kleiner Bruder und meine Schwester wurden damals verletzt. Unser Zuhause wurde zerstört, und meine Familie musste ihr Dorf verlassen und als Binnenflüchtlinge in Syrien leben. Doch 2014 verschärfte sich die Lage weiter. Wir flohen aus unserem Dorf, zogen nach Dscharabulus, doch auch dort gab es keinen sicheren Ort für uns.
 
arte-journalEinblick in Marwans Geschichte erhalten Sie übrigens auch in der Reportage über den Stopp der Familienzusammenführungen im ARTE-Journal vom 24. April 2025.

Die Jahre danach waren von Angst, Unsicherheit und Not geprägt. Ich konnte in Syrien nur drei Jahre zur Schule gehen. Stattdessen musste ich arbeiten, damit ich mir die notwendigen Medikamente leisten konnte. Bildung, Kindheit, Unbeschwertheit – all das blieb mir verwehrt.

Im April 2022, mit nur 14 Jahren, machte ich mich allein auf den gefährlichen Weg durch die Türkei nach Europa. Es dauerte vier Monate voller Angst, Hunger, Kälte und Unsicherheit, bis ich im Sommer 2022 schließlich in Österreich ankam und im Juli.2022 stellte ich meinen Asylantrag beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).


Ankommen in Österreich
 

Bei der Einvernahme schilderte ich meine Fluchtgründe und allgemeine Situation. Das BFA versicherte mir damals: Das Wohl des Kindes stehe im Vordergrund, man würde sich um die Angehörigensuche kümmern und ich keine Angst haben müsse. Das BFA wusste genau, wo sich meine Familie befand und wer von ihnen noch in Syrien geblieben war. All diese Informationen hatte ich bereits ausführlich während meiner Einvernahme geschildert.

Der positive Asylbescheid kam Anfang 2023. Doch Sicherheit allein war für mich nicht genug – ich war allein in einem fremden Land, ohne Eltern, ohne Geschwister.

Die Einsamkeit war schwer zu ertragen, besonders als Minderjähriger ohne Familie.

Doch obwohl ich nun sicher war, begann der eigentliche Kampf: der Kampf um die Familienzusammenführung.

Ich lebte seit November 2022 im Quartier für unbegleitete geflüchtete Kinder in Hitzendorf in der Steiermark. Es war schwer, so jung, verletzt und ohne Familie den Alltag zu bewältigen. Mein älterer Bruder Ramadan wohnte in Wien, konnte mich aber lange nicht zu sich holen, da ihm eine geeignete Wohnung fehlte. Die Einsamkeit war schwer zu ertragen, besonders als Minderjähriger ohne Familie.

Er versuchte alles, um die Obsorge für mich zu übernehmen, aber erst im Juli 2024 fand er eine Wohnung in Wien und stellte den Antrag für alleinige Obsorge. Bald darauf wurde die Obsorge offiziell genehmigt – ich war überglücklich! Im Herbst 2024 konnte ich endlich nach Wien zu ihm ziehen. Ich hoffte, nun würde alles leichter werden.

Doch ich fühlte mich weiterhin zerrissen, da der schwierigste Teil noch bevorstand: 


Die Familienzusammenführung
 

Meine Eltern, mein kleiner Bruder und besonders meine Schwester Rawan fehlten mir. Rawan wird im Jänner 2025 volljährig. Mir war bewusst: Wird das Familienverfahren nicht rechtzeitig abgeschlossen, verliert sie das Recht, mit meinen Eltern nach Österreich zu kommen. Das raubte mir den Schlaf.

Bereits im Dezember 2023 wurde ein Termin für meine Familie in der österreichischen Botschaft Damaskus in Beirut (Libanon) angesetzt. Am 12.12.2023 sollten meine Eltern und Geschwister dort erscheinen. Tragischerweise erfuhren weder ich noch meine Familie von diesem Termin – das Rote Kreuz Steiermark, das meinen Antrag betreute, hatte mich nicht darüber informiert. Die Familie erschien nicht. Am selben Tag rief die Botschaft mich an und fragte, warum meine Familie nicht erschienen sei – ich war völlig überrascht und verzweifelt.

Trotz allem, was ich versucht hatte, trotz der gesundheitlichen Lage meiner Familie, trotz der Narben auf meinem Körper, die mich täglich an den Krieg erinnern – ich blieb allein.

Ein neuer Termin wurde vereinbart. Nach der Antragsstellung bei der Botschaft wurden die Unterlagen an die inländischen Behörden (BFA) geschickt. Doch es vergingen Monate ohne Rückmeldung und Prognoseentscheidung.

Als ich im September 2024 zu meinem Bruder nach Wien kam, bemühte ich mich, bei Beratungsstellen wie Caritas und Diakonie um Hilfe, doch sie erklärten sich nicht zuständig. Erst bei Interface Wien fand ich die notwendige Unterstützung.


Wettlauf mit der Zeit
 

In Sorge um meine Schwester Rawan, die bald volljährig werden würde, verfasste ich im Oktober eine lange, persönliche Stellungnahme und schickte sie von meiner E-Mail an das BFA. Ich erklärte meine Situation und wie ich verzweifelt bin: die lange Trennung, meine Bemühungen um Integration, die Gefahr, dass meine Schwester die Einreise versäumt. Ich schrieb ehrlich: "Ich vermisse meine Familie sehr." Doch es kam keine Antwort.

Parallel dazu bat meine Sozialarbeiterin das BFA höflich, den Antrag vorzuziehen und meine persönlichen Umstände zu berücksichtigen. Auch sie betonte, wie belastend die Situation für mich sei. Nach weiterem Schweigen urgierte sie erneut. Am selben Tag meldete sich der Referent telefonisch, versicherte, es sei noch Zeit, da das Antragsdatum auf die Familienzusammenführung zähle. Doch beruhigt war ich nicht. Aber ich wusste: Die Zeit lief uns davon.

Am 25.11.2024 wandte sich meine Sozialarbeiterin an den Teamleiter und Referenten, der mich bereits bei meiner Einvernahme befragt hatte. Er bestätigte, dass sich das Verfahren aufgrund eines neuen Generalerlasses vom Mai 2024 verzögert. Mir blieb nur Geduld.


Hoffnung ...
 

Weitere E-Mails, Bitten, Gespräche – alle verliefen ins Leere. Anfang Dezember 2024 forderte das BFA schließlich einen DNA-Test. Ich fuhr mit meiner Sozialarbeiterin ins Labor im 19. Bezirk in Wien, um die Proben abzugeben und zahlte 480 Euro – eine enorme Summe für mich, da ich nur 450–470 Euro monatlich vom AMS für Besuch des Jugendcollege erhalte. Doch ich hoffte, nun endlich dem Ziel näher zu kommen.

Doch schon wenige Tage später kam die nächste Hiobsbotschaft: Aufgrund der Lage nach dem Sturz des Assad-Regimes wurden alle weiteren Schritte auf Eis gelegt. Mein Referent vom BFA teilte meiner Sozialarbeiterin schriftlich mit, dass mein Familienverfahren vorerst nicht weiterbearbeitet werde – ein weiterer Rückschlag für mich. Auch die Abgabe der DNA-Proben meiner Familie war nicht mehr möglich. Meine Sozialarbeiterin telefonierte mit der Botschaft, aber es gab keine klaren Informationen.

Mein kleiner Bruder braucht dringend Medikamente für sein Asthma, die er in Syrien nicht bekommt. Meine Familie lebt in einem zerstörten Land, ohne Perspektive, ohne sichere Zukunft.

Trotzdem gaben wir nicht auf. Mitte Jänner 2025 bat meine Sozialarbeiterin dennoch, einen Termin für die DNA-Probeabgabe für meine Familie zu vereinbaren – keine Antwort. Doch stattdessen erhielt ich eine Schocknachricht: die Mitteilung, dass gegen mich ein Aberkennungsverfahren eingeleitet wurde. Ich hatte niemals Probleme mit dem Gesetz, noch wurde jemals eine Verwaltungsstrafe gegen mich verhängt. Warum ausgerechnet bei mir ein Aberkennungsverfahren eingeleitet wurde, weiß ich bis heute nicht – doch es fühlt sich für mich sehr ungerecht an. Kurz darauf kam der offizielle Brief per Post. Es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Dabei kämpfte ich so hart um Integration, sprach fließend Deutsch, träumte von einer Ausbildung im Pflegebereich.

Umgehend wandte ich mich an die Rechtsberatungsstelle „Asyl in Not“, die für mich am einen Antrag auf Einstellung des Aberkennungsverfahrens einbrachte. Doch damit war das Chaos nicht vorbei. Ende Jänner schickte die österreichische Botschaft Damaskus fälschlicherweise wichtige Unterlagen - Aufforderung eine Stellungnahme im Familienverfahren und Prognoseentscheidung „nicht Wahrscheinlichkeit“ vom BFA abzugeben - an das Rote Kreuz, obwohl dieses seine Vollmacht schon im Dezember 2024 zurückgelegt hatte. Erst im Februar bekam meine Sozialarbeiterin vom Roten Kreuz als Weiterleitung die Dokumente verspätet. Wir baten bei der Botschaft um eine Fristverlängerung, die schließlich gewährt wurde – Frist bis 25.02.2025. „Asyl in Not“ reichte eine Stellungnahme und Vollmachten von meinen Eltern bei der Botschaft ein.


... und Rückschläge
 

Doch nicht einmal eine Woche später erreichte mich ein weiterer Schlag: Der Antrag auf Einreise meiner Familie wurde abgewiesen. Trotz allem, was ich versucht hatte, trotz der gesundheitlichen Lage meiner Familie, trotz der Narben auf meinem Körper, die mich täglich an den Krieg erinnern – ich blieb allein.

Mein gesundheitlicher Zustand macht es mir nicht leicht: Ich habe immer noch Narben, mein linkes Auge ist beeinträchtigt, meine Lunge durch die Verletzungen geschädigt. Obwohl ich in Graz eine OP an mein Auge hatte, müssen es noch weitere Operationen durchgeführt werden. Mein kleiner Bruder braucht dringend Medikamente für sein Asthma, die er in Syrien nicht bekommt. Meine Familie lebt in einem zerstörten Land, ohne Perspektive, ohne sichere Zukunft.

Ich frage mich oft, wie viele Hürden mir noch auferlegt werden. Warum wird das Wohl des Kindes – von dem so oft gesprochen wird – in der Realität nicht gelebt?

Ich wünsche mir nur eines: endlich meine Familie wieder in den Arm zu schließen und in Sicherheit vereint zu sein. Ohne Angst, ohne Bürokratie, ohne ständig neue Rückschläge. Nur in Frieden. Nur gemeinsam.

Ich habe mich in Österreich integriert: Ich spreche fließend Deutsch, besuche das Jugendcollege seit Oktober 2024, habe alle Prüfungen bis inklusive B1 bestanden. Ich möchte meinen Werdegang mit Pflegeassistenz beginnen und später an der Medizinischen Universität studieren.

Jede Verzögerung, jedes Missverständnis, jede fehlende Kommunikation zwischen Behörden und Organisationen macht das Warten unerträglich. Ich wünsche mir nur eines: endlich meine Familie wieder in den Arm zu schließen und in Sicherheit vereint zu sein. Ohne Angst, ohne Bürokratie, ohne ständig neue Rückschläge. Nur in Frieden. Nur gemeinsam.

Vielen Dank an Aljona Kapshaj, die Marwans Geschichte aufgeschrieben hat!
 




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