EuGH-Entscheidung zu Afghanistan - 7 Fragen 7 Antworten
Verfolgung aufgrund des Geschlechts: Was bedeutet die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zu den afghanischen Frauen? 7 Fragen, 7 Antworten
Lukas Gahleitner-Gertz
Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sorgte für ein neuerliches gewaltiges Rauschen im Blätterwald. Während vermeintliche Expert:innen in der Entscheidung einen massiven „Pullfaktor“ sahen, sahen Zeitungen darin einen Türöffner für alle afghanischen Frauen nach Österreich und Europa. Attacken auf die Gerichtsbarkeit folgten, der Volkswille, der derartige Entscheidungen nicht wünsche wurde beschworen. Doch um was geht es eigentlich?
Im konkreten Fall hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zusammengefasst folgende zwei Fragen gestellt:
Erstens wollte der VwGH wissen, ob die von den Taliban gegen Frauen ergriffenen Maßnahmen – nämlich Verwehrung politischer Ämter, kein rechtlicher Schutz gegen Gewalt, Gefahr von Zwangsverheiratungen, Verbot von Erwerbstätigkeit, Erschwerung Zugang zu Gesundheitsleistungen, Verwehrung Zugang zur Bildung, Verbot Aufenthalt in Öffentlichkeit ohne männliche Begleitung, Verhüllungspflicht, Verbot der Sportausübung – kumuliert als „Verfolgungshandlung“ im Sinne des EU-Rechts zu sehen sind.
Sollte der EuGH der Ansicht sein, dass es als Verfolgungshandlung zu werten sei, wollte der VwGH noch wissen, ob dann überhaupt noch notwendig sei, die Umstände der Verfolgungshandlungen im Einzelfall durch genaue Befragungen zu ermitteln. Dazu sind die Behörden in Asylverfahren grundsätzlich verpflichtet.
In der Folge sieht der EuGH in diesen Fällen afghanischer Frauen keine Verpflichtung der nationalen Behörden zur Erhebung der genauen Einzelheiten der Verfolgungshandlungen in den konkreten Fällen. Es reicht die Feststellung, dass es sich um afghanische Frauen handelt.
Tatsache ist, dass der EuGH damit nur die jahrelange Praxis einiger nationale Behörden bestätigt. Finnland, Schweden und sogar Dänemark haben vor 2 Jahren beschlossen, dass bei afghanischen Frauen aufgrund der Maßnahmen der Taliban in Afghanistan keine Umstände im Einzelfall erhoben werden müssen. Das haben die Behörden in diesen Ländern auch offiziell bekanntgegeben.
Die Datenbank von EUROSTAT zeigt hier ganz eindeutige Ergebnisse und zeigt auf, dass die Befürchtungen der befragten „Expert:innen“ von der Evidenz widerlegt werden.
Die Stelle des schwarzen X markiert jeweils die Bekanntgabe der Änderung der Behördenpraxis in den jeweiligen Ländern:
Seit 2014 haben etwa 17.000 afghanische Frauen in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 sind es knapp 3.000 Anträge gewesen.
Seit der Machtübernahme beträgt die Schutzquote in der ersten Instanz in Österreich 99%, in der zweiten gerichtlichen Instanz 100%. Das bedeutet, dass alle afghanischen Frauen in Österreich seit knapp 3 Jahren einen Schutztitel bekommen.
Es hat seit Aufzeichnungsbeginn erst eine einzige Abschiebung einer afghanischen Frau aus Österreich gegeben.
Fazit: Die Behörden in Österreich haben bisher schon genau so entschieden wie die Behörden in Dänemark, Schweden und Finnland, aber meist viel mehr Aufwand gehabt. Weder in Österreich noch in den anderen Ländern hat es den behaupteten „Pull-Effekt“ gegeben.
Diese Entscheidung bedeutet für keine Frau aus Afghanistan, dass sie deswegen nach Österreich einreisen darf.
Für diejenigen Frauen, die nach Österreich kommen, hat der Innenminister bereits angekündigt, an individuellen Prüfungen festhalten zu wollen. Das ist grundsätzlich auch möglich: Der EuGH hat die Staaten ja nicht dazu verpflichtet, keine Einzelfallprüfungen durchzuführen. Er hat nur gesagt, die nationalen Behörden sind in dieser konkreten Fallsituation (Frau aus Afghanistan) von ihrer Verpflichtung zur Erhebung der Umstände im Einzelfall entbunden.
Eine umfassende Prüfung ist daher auch weiterhin möglich. Es stellt sich aber die Frage, ob hier die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung eingehalten wird. Die Behörden machen hier dann auf Steuerkosten unnötig Mehrarbeit, ohne dass es im Ergebnis etwas ändert.
1. Über was musste der Europäische Gerichtshof überhaupt entscheiden?
Streng genommen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nur zwei ihm gestellte Fragen beantwortet. Der Europäische Gerichtshof ist jene Instanz, die befugt ist, EU-Recht auszulegen. Wenn also ein nationales Höchstgericht Zweifel hat, wie bestimmte EU-Regeln angewendet werden sollen, so kann es dem EuGH diese Fragen zur Entscheidung vorlegen.Im konkreten Fall hat der österreichische Verwaltungsgerichtshof (VwGH) zusammengefasst folgende zwei Fragen gestellt:
Erstens wollte der VwGH wissen, ob die von den Taliban gegen Frauen ergriffenen Maßnahmen – nämlich Verwehrung politischer Ämter, kein rechtlicher Schutz gegen Gewalt, Gefahr von Zwangsverheiratungen, Verbot von Erwerbstätigkeit, Erschwerung Zugang zu Gesundheitsleistungen, Verwehrung Zugang zur Bildung, Verbot Aufenthalt in Öffentlichkeit ohne männliche Begleitung, Verhüllungspflicht, Verbot der Sportausübung – kumuliert als „Verfolgungshandlung“ im Sinne des EU-Rechts zu sehen sind.
Sollte der EuGH der Ansicht sein, dass es als Verfolgungshandlung zu werten sei, wollte der VwGH noch wissen, ob dann überhaupt noch notwendig sei, die Umstände der Verfolgungshandlungen im Einzelfall durch genaue Befragungen zu ermitteln. Dazu sind die Behörden in Asylverfahren grundsätzlich verpflichtet.
2. Wie hat der EuGH die Fragen beantwortet?
Der EuGH hat die erste Frage mit Ja beantwortet: Das bedeutet, dass die einzeln aufgezählten Maßnahmen für sich nicht notwendigerweise als asylrelevante Verfolgungshandlung zu werten sind, wenn sie kumuliert angewandt werden ist es aber eine Verfolgungshandlung im Sinne des EU-Rechts.In der Folge sieht der EuGH in diesen Fällen afghanischer Frauen keine Verpflichtung der nationalen Behörden zur Erhebung der genauen Einzelheiten der Verfolgungshandlungen in den konkreten Fällen. Es reicht die Feststellung, dass es sich um afghanische Frauen handelt.
3. Kommt die Entscheidung überraschend?
Nein, überhaupt nicht. Die menschenverachtenden Maßnahmen der radikal-islamistischen Taliban gegen Frauen werden seit der Machtübernahme im Sommer 2021 ausnahmslos politisch verurteilt und angeprangert.Tatsache ist, dass der EuGH damit nur die jahrelange Praxis einiger nationale Behörden bestätigt. Finnland, Schweden und sogar Dänemark haben vor 2 Jahren beschlossen, dass bei afghanischen Frauen aufgrund der Maßnahmen der Taliban in Afghanistan keine Umstände im Einzelfall erhoben werden müssen. Das haben die Behörden in diesen Ländern auch offiziell bekanntgegeben.
4. Warum gibt es dann so massive Kritik an dem Urteil des EuGH?
Gute Frage. Manche befragten vermeintlichen Expert:innen haben angegeben, dass die Entscheidung des EuGH einen sogenannten „Pull-Effekt“ auslösen würde und jetzt massenweise afghanische Frauen nach Europa kommen würden.5. War das in Dänemark, Schweden und Finnland der Fall, als sie die Praxis geändert haben?
Nein, es kam zu keinen Anstieg von Antragstellungen von afghanischen Frauen in diesen Ländern nachdem die Behörden bekanntgegeben haben, dass sie die Umstände des Einzelfalls nicht mehr erheben werden.Die Datenbank von EUROSTAT zeigt hier ganz eindeutige Ergebnisse und zeigt auf, dass die Befürchtungen der befragten „Expert:innen“ von der Evidenz widerlegt werden.
Die Stelle des schwarzen X markiert jeweils die Bekanntgabe der Änderung der Behördenpraxis in den jeweiligen Ländern:
6. Wie ist die Situation afghanischer Frauen in Österreich?
Seit 2014 haben etwa 17.000 afghanische Frauen in Österreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 sind es knapp 3.000 Anträge gewesen. Seit der Machtübernahme beträgt die Schutzquote in der ersten Instanz in Österreich 99%, in der zweiten gerichtlichen Instanz 100%. Das bedeutet, dass alle afghanischen Frauen in Österreich seit knapp 3 Jahren einen Schutztitel bekommen.
Es hat seit Aufzeichnungsbeginn erst eine einzige Abschiebung einer afghanischen Frau aus Österreich gegeben.
Fazit: Die Behörden in Österreich haben bisher schon genau so entschieden wie die Behörden in Dänemark, Schweden und Finnland, aber meist viel mehr Aufwand gehabt. Weder in Österreich noch in den anderen Ländern hat es den behaupteten „Pull-Effekt“ gegeben.
7. Was heißt diese Entscheidung jetzt für Österreich?
Diese Entscheidung bedeutet für keine Frau aus Afghanistan, dass sie deswegen nach Österreich einreisen darf. Für diejenigen Frauen, die nach Österreich kommen, hat der Innenminister bereits angekündigt, an individuellen Prüfungen festhalten zu wollen. Das ist grundsätzlich auch möglich: Der EuGH hat die Staaten ja nicht dazu verpflichtet, keine Einzelfallprüfungen durchzuführen. Er hat nur gesagt, die nationalen Behörden sind in dieser konkreten Fallsituation (Frau aus Afghanistan) von ihrer Verpflichtung zur Erhebung der Umstände im Einzelfall entbunden.
Eine umfassende Prüfung ist daher auch weiterhin möglich. Es stellt sich aber die Frage, ob hier die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Verwaltung eingehalten wird. Die Behörden machen hier dann auf Steuerkosten unnötig Mehrarbeit, ohne dass es im Ergebnis etwas ändert.