Nicht kindgerecht und völlig abgeschieden – NGO-Verbund kritisiert Bundesquartiere für minderjährige Flüchtlinge
 
Mit einer Protest-Wanderung macht der NGO-Verbund #Fairlassen auf die katastrophale Betreuung und die Isolation von jugendlichen Flüchtlingen an abgeschiedenen Orten aufmerksam.
 
Die Initiative „#Fairlassen“, ein Zusammenschluss von asylkoordination, Caritas, Diakonie, Volkshilfe, SOS Mitmensch, SOS-Menschenrechte, Integrationshaus, Flüchtlingshilfe Doro Blancke, Fairness Asyl, Samariterbund, Amnesty u.v.m., hat heute gemeinsam vor dem Quartier für minderjährige Geflüchtete, in Steinhaus am Semmering gegen die Isolation und schlechte Betreuung von jungen Menschen im Asylverfahren protestiert.
 
Die geplante interreligiöse Feier und die Übergabe von kleinen Geschenken an die Jugendlichen vor der Unterkunft konnte nicht stattfinden, da die Besucher*innen von zahlreichen Polizeieinheiten angehalten wurden, und die Zufahrt zur Flüchtlingseinrichtung abgesperrt war. Laut der Betreiberorganisation BBU herrscht ein striktes Betretungsverbot, selbst für das weitläufige Gelände rund ums Haus. Selbst dem evangelischen Superintendenten und Seelsorger Matthias Geist wurde die Übergabe eines Adventkranzes und der persönliche Kontakt mit den Bewohner*innen verweigert.
 
Christoph Riedl, Diakonie Asylexperte und Sprecher der Initiative #Fairlassen sagt dazu: „Es kann nicht sein, dass die Jugendlichen hier keinen Besuch bekommen dürfen. Schon an sich führt die Unterbringung in diesen Großquartieren des Bundes bei den jungen Bewohnern zu einer großen psychischen Belastung. Die zusätzliche Abschottung vor ihnen wohlgesonnenen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft ist nicht hinnehmbar.“
Schon lange warnt der NGO Verbund #Fairlassen davor, dass die Verstaatlichung der Flüchtlings-Unterbringung zu einer Blackbox führen würde. „Das scheint jetzt eingetreten zu sein“, kritisiert Riedl.
Der Besuch der Protestgruppe wollte vor allem darauf hinweisen, dass alle jungen Menschen eine altersgerechte Betreuung und einen geregelten Tagesablauf, mit Möglichkeiten für Ausbildung und Freizeitbeschäftigung brauchen.
Die Kinder- und Jugendhilfe in Österreich sieht vor, dass Kinder und Jugendliche in familienähnlichen Wohngruppen unterzubringen sind. „In Massenquartieren, wie hier am Semmering, haben die Jugendlichen keine Bezugspersonen, und sind sich weitgehend selbst überlassen und werden jetzt auch noch abgeschottet,“ so Judith Ranftler, Volkshilfe Österreich.
 
#Fairlassen fordert: Kinder und Jugendliche müssen in einem kinder- und jugendgerechten Umfeld leben können.
Der NGO-Verbund fordert seit Jahren die kindgerechte Unterbringung und Betreuung von Jugendlichen, die ohne ihre Eltern geflüchtet sind, nach den Standards der Kinder- und Jugendhilfe, sowie die Obsorge ab dem ersten Tag. „Vom Tag ihrer Ankunft in Österreich an muss jedem Fluchtwaisen ein Vormund zur Seite gestellt werden, der sich um alles kümmert, was der junge Mensch für seine weitere Entwicklung braucht“, unterstreicht Herbert Langthaler, asylkoordination.
„Wir alle spüren im x-ten Corona-Lockdown am eigenen Leib, was Isolation bedeuten kann. Die Jugendlichen am Semmering spüren das täglich“, beschreibt Mathias Geist, evangelischer Superintendent für Wien die unerträgliche Situation der jugendlichen Flüchtlinge in diesem abgeschiedenen Quartier. „Ich bin tief betroffen über das Vorgehen von Polizei und Heimleitung, und wie diese jungen Menschen hier angehalten werden. Ich wollte ihnen gerne auf Augenhöhe begegnen und Geschenke übergeben. Das wurde mir untersagt.“
 
Zur Protestwanderung aufgerufen hatten auch Vertreter der katholischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften
Und Pfarrer Hans Schrei, katholischer Seelsorger aus Graz beschreibt es so: „Wir müssen Kindern und Jugendlichen, die ohne Eltern aufwachsen müssen unsere Liebe und Geborgenheit geben. Dieses Haus ist ein Haus der Abschottung. Hier werden junge Menschen an den Rand und in die Verzweiflung gedrängt. Aus diesem Grund habe ich eingeladen, ein Zeichen des Protests zu setzen.“
Ebenfalls zur Protestwanderung aufgerufen hat der Imam Tarafa Baghajati, Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen, der sagt: „Die Kinder verlieren in solchen Quartieren wertvolle Zeit ihres jungen Lebens. Es wäre so wichtig ihre Potenziale zu fördern, damit sie diese später für uns als Gesellschaft einsetzen können.“
 
Tendenz, Asylwerber*innen zu isolieren, verschärft sich zusehends
Durch die derzeitige Managementkrise im Innenministerium und in der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) verschärft sich die Tendenz, Asylwerber*innen immer mehr zu isolieren. Statt Geflüchtete zügig zu den Asylverfahren zuzulassen und in Grundversorgungsquartiere zu überstellen, dauert der Aufenthalt in den Quartieren des Innenministeriums immer länger. Vor allem Jugendliche müssen von Anfang an in kinder- und Jugendgerechten Einrichtungen wie z.B. WGs wohnen können. Im Jugendquartier am Semmering leben derzeit rund 180 Jugendliche. Die Hälfte der derzeit rund 800 in solchen Bundesquartieren lebenden Jugendlichen, müssten – nach ihrem Verfahrensstand – auch nach dem aktuell gültigen System eigentlich bereits in kleinere und geeignetere Länderquartiere überstellt sein.
 
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