Wiedersehen im Chaos

Vom emotionalen Wiedersehen mit einer Familie nach dem überraschenden Abschied aus dem Notquartier bis zur Nacht, in der ihr ein neugeborenes Baby in die Arme gedrückt wurde. Zwei sehr berührende Erinnerungen an 2015 von Doris Schneidtinger.
Es gibt zum Sommer und Herbst 2015 so viele Geschichten zu erzählen. So viele Bilder, Geräusche, Gerüche, die sich eingebrannt haben. 2 Geschichten hab ich ausgesucht, weil sie typisch für die Zeit sind.
Die 3 mittleren Mädchen Jasmin, Saleha und Noor sind zu meinem Schatten geworden, sind mir auf Schritt und Tritt gefolgt, haben mit mir Kleider sortiert, den Boden gefegt und Bilder gemalt. Und ich war immer beeindruckt von der Mutter, die mit viel Wärme und einem strengen Blick die ganze Kindermeute zusammengehalten hat. Was für eine Reise muss das wohl gewesen sein, so viele kleine Kinder wohlbehalten bis nach Österreich zu bringen.
Und dann waren sie eines Tages nicht mehr da. Wie das halt so war in Notquartieren. Weitergereist nach Deutschland? Irgendwo anders hin in Österreich? Keine Ahnung. Es war ja auch eine Zeit der permanenten Abschiede und Neuankünfte. In den folgenden Wochen hab ich oft an sie gedacht und gehofft, dass sie irgendwo angekommen sind und es ihnen gut geht. Dass sie irgendwo ein zu Hause gefunden haben, mit richtigen Betten und einer Tür, die man abschließen kann.
Ein paar Wochen später hab auch ich in eine neue Notunterkunft gewechselt. Eine, die näher bei meiner Wohnung war und in der gerade viele Ehrenamtliche gesucht wurden. Und so steh ich das erste Mal dort in der Essensausgabe und gebe Semmeln und Marmelade aus und plötzlich steht Jasmin vor mir. Mit einem lauten "Doris!" rennt sie aus dem Zimmer und kommt Sekunden später mit der halben Familie zurück.
Und dann stehen wir alle in einer riesigen Umarmung mitten in diesem Frühstücksraum und haben Tränen in den Augen und die Mutter streicht mir über den Kopf und die Kinder reden auf mich ein und die anderen Helfer*innen und Geflüchteten kennen sich gar nicht aus, was hier grad passiert. Und eigentlich ist das auch total bescheuert, weil wir uns ja eigentlich gar nicht kennen. Aber ich freu mich trotzdem so, sie wiederzusehen. Und sie freuen sich offensichtlich auch, ein bekanntes Gesicht wiederzutreffen. Und vielleicht ist es in so einer Situation auch ok, ein Wiedersehen zu feiern, als wäre man alte Bekannte und hätte sich jahrelang nicht gesehen.
Es war mitten in der Nacht, die meisten Menschen haben schon geschlafen – auf Feldbetten und Matratzen, manche hatten sich provisorisch mit Decken und Wäscheleinen ein wenig Privatsphäre gebastelt.
Wir Freiwilligen haben ein bisschen aufgeräumt und gequatscht. Und dann kam dieser Anruf. „2 Busse direkt von der Grenze sind zu euch unterwegs.“ Wir hatten nichts mehr zu essen, keine freien Feldbetten, keine Isomatten, keine Dolmetscher – nur ein kleiner Haufen zusammengewürfelter Freiwilliger. Wir haben die letzten Kekse und die letzten Teebeutel zusammengekratzt und schon mal Wasser aufgewärmt und geschaut, ob’s nicht doch noch irgendwo Decken gibt.
Und dann sind diese Busse vorgefahren und aus einem der Busse steigt ein junger Mann und drückt mir ein Baby in die Hand – ein paar Tage alt, irgendwo auf der Flucht geboren. Und ich stand da mit diesem Baby, vollkommen überfordert, alleingelassen von allen offiziellen Stellen, mitten in der Nacht.
Ich kann mich weder an den Mann noch an die Mutter erinnern, aber das Gesicht von diesem Baby hat sich eingebrannt. Und ich kann mich an dieses tiefe Gefühl erinnern, das mich die nächsten Jahre begleiten sollte – dass da hungrige, todmüde, verzweifelte Menschen kommen, die sich von mir Hilfe erwarten und dass „die Zivilgesellschaft“ in großen Teilen damit allein gelassen wird.
Und ich muss oft an diese Mutter denken – was es heißen muss, sich im 9. Monat auf den Weg zu machen. Zu Fuß, übers Meer in einem wackligen Gummiboot, eingepfercht in Zügen und Bussen. Niemand flieht in einer solchen Situation, wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
(Zur Auflösung noch: Wir haben dann natürlich die Rettung angerufen, die die Mutter und das Baby abgeholt und ins Krankenhaus gebracht hat)
#1: Wiedersehen im Chaos
In einer Notunterkunft gab's eine für mich ganz besondere Familie. Mutter, Vater und 9 Kinder. Die älteste 21, der jüngste gerade mal 2 Jahre alt. Irgendwie haben wir uns gut verstanden und sie haben mich immer wieder eingeladen, mit ihnen am Tisch zu essen, obwohl wir auf Grund der Sprachbarriere nie auch nur ein Wort miteinander sprechen konnten.Die 3 mittleren Mädchen Jasmin, Saleha und Noor sind zu meinem Schatten geworden, sind mir auf Schritt und Tritt gefolgt, haben mit mir Kleider sortiert, den Boden gefegt und Bilder gemalt. Und ich war immer beeindruckt von der Mutter, die mit viel Wärme und einem strengen Blick die ganze Kindermeute zusammengehalten hat. Was für eine Reise muss das wohl gewesen sein, so viele kleine Kinder wohlbehalten bis nach Österreich zu bringen.
Sommer der Solidarität
Es war ja auch eine Zeit der permanenten Abschiede und Neuankünfte.
Doris, Freiwillige in einer Notunterkunft
Es war ja auch eine Zeit der permanenten Abschiede und Neuankünfte.
Doris, Freiwillige in einer Notunterkunft
Und dann waren sie eines Tages nicht mehr da. Wie das halt so war in Notquartieren. Weitergereist nach Deutschland? Irgendwo anders hin in Österreich? Keine Ahnung. Es war ja auch eine Zeit der permanenten Abschiede und Neuankünfte. In den folgenden Wochen hab ich oft an sie gedacht und gehofft, dass sie irgendwo angekommen sind und es ihnen gut geht. Dass sie irgendwo ein zu Hause gefunden haben, mit richtigen Betten und einer Tür, die man abschließen kann.
Ein paar Wochen später hab auch ich in eine neue Notunterkunft gewechselt. Eine, die näher bei meiner Wohnung war und in der gerade viele Ehrenamtliche gesucht wurden. Und so steh ich das erste Mal dort in der Essensausgabe und gebe Semmeln und Marmelade aus und plötzlich steht Jasmin vor mir. Mit einem lauten "Doris!" rennt sie aus dem Zimmer und kommt Sekunden später mit der halben Familie zurück.
Und dann stehen wir alle in einer riesigen Umarmung mitten in diesem Frühstücksraum und haben Tränen in den Augen und die Mutter streicht mir über den Kopf und die Kinder reden auf mich ein und die anderen Helfer*innen und Geflüchteten kennen sich gar nicht aus, was hier grad passiert. Und eigentlich ist das auch total bescheuert, weil wir uns ja eigentlich gar nicht kennen. Aber ich freu mich trotzdem so, sie wiederzusehen. Und sie freuen sich offensichtlich auch, ein bekanntes Gesicht wiederzutreffen. Und vielleicht ist es in so einer Situation auch ok, ein Wiedersehen zu feiern, als wäre man alte Bekannte und hätte sich jahrelang nicht gesehen.
#2: Das Baby
Im Herbst 2015 hab ich neben der Arbeit am Wochenende und am Abend in einer der unzähligen, improvisierten Notunterkünfte ausgeholfen.Es war mitten in der Nacht, die meisten Menschen haben schon geschlafen – auf Feldbetten und Matratzen, manche hatten sich provisorisch mit Decken und Wäscheleinen ein wenig Privatsphäre gebastelt.
Wir Freiwilligen haben ein bisschen aufgeräumt und gequatscht. Und dann kam dieser Anruf. „2 Busse direkt von der Grenze sind zu euch unterwegs.“ Wir hatten nichts mehr zu essen, keine freien Feldbetten, keine Isomatten, keine Dolmetscher – nur ein kleiner Haufen zusammengewürfelter Freiwilliger. Wir haben die letzten Kekse und die letzten Teebeutel zusammengekratzt und schon mal Wasser aufgewärmt und geschaut, ob’s nicht doch noch irgendwo Decken gibt.
Sommer der Solidarität
Niemand flieht in einer solchen Situation, wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
Doris, Freiwillige in einer Notunterkunft
Niemand flieht in einer solchen Situation, wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
Doris, Freiwillige in einer Notunterkunft
Und dann sind diese Busse vorgefahren und aus einem der Busse steigt ein junger Mann und drückt mir ein Baby in die Hand – ein paar Tage alt, irgendwo auf der Flucht geboren. Und ich stand da mit diesem Baby, vollkommen überfordert, alleingelassen von allen offiziellen Stellen, mitten in der Nacht.
Ich kann mich weder an den Mann noch an die Mutter erinnern, aber das Gesicht von diesem Baby hat sich eingebrannt. Und ich kann mich an dieses tiefe Gefühl erinnern, das mich die nächsten Jahre begleiten sollte – dass da hungrige, todmüde, verzweifelte Menschen kommen, die sich von mir Hilfe erwarten und dass „die Zivilgesellschaft“ in großen Teilen damit allein gelassen wird.
Und ich muss oft an diese Mutter denken – was es heißen muss, sich im 9. Monat auf den Weg zu machen. Zu Fuß, übers Meer in einem wackligen Gummiboot, eingepfercht in Zügen und Bussen. Niemand flieht in einer solchen Situation, wenn es nicht um Leben oder Tod geht.
(Zur Auflösung noch: Wir haben dann natürlich die Rettung angerufen, die die Mutter und das Baby abgeholt und ins Krankenhaus gebracht hat)













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