Ein Anlass, kurz innezuhalten, zurückzublicken, zu analysieren und einen Ausblick zu wagen.
1. Anfang letzten Jahres gab es die Abschiebung von Tina und viel Unverständnis in der Öffentlichkeit, wie es dazu kommen konnte: Die Antwort ist, dass jahre- bzw. jahrzehntelang an einer Verschärfungsspirale gedreht wurde und auf einmal wachen wir erschreckt auf, dass hier aufgewachsene Kinder abgeschoben werden können.

2. Einen ähnlichen Prozess sehen wir derzeit in Bezug auf die Versorgung geflüchteter Menschen in Österreich. Privatpersonen und NGOs leisten seit Monaten großartige Arbeit: Ca 2/3 der Menschen aus der Ukraine sind privat untergebracht. Ankunftszentren werden von NGOs betreut, Privatpersonen verschicken Einkaufsgutscheine an geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Damit verschafft die Zivilgesellschaft dem Staat Zeit, staatliche Strukturen aufzubauen um die Menschen adäquat versorgen zu können.

3. Wir müssen aber nun - drei Monate nach dem Ankommen der ersten Geflüchteten aus der Ukraine - feststellen, dass der Staat nicht bzw. viel zu langsam in die Gänge kommt. Wir müssen feststellen, dass das System der Versorgung in den letzten Jahren immer mehr zu einem System der Schikanierung von schutzsuchenden Menschen geworden ist und nicht dazu taugt, schutzberechtigten Menschen adäquat zu versorgen, sie dabei zu unterstützen, Arbeit zu finden und eben nicht auf das Grundversorgungssystem angewiesen zu sein. Über dem Grundversorgungssystem steht die Angst vor Missbrauch und das unausgesprochene Ziel, keine Asylanträge auf österreichischem Boden zuzulassen.

4. Angst ist kein guter Begleiter. Die Probleme mit der Grundversorgung sind nicht neu: Schon bisher waren die geflüchteten Menschen den Schikanen dieses Systems ausgesetzt. Die große Anzahl der schutzsuchenden Ukrainer*innen zeigt aber wie unter einem Brennglas auf, dass das System dysfunktional ist - nicht funktioniert. Es wurde ausgegeben: Österreich will schnell und unbürokratisch helfen. Mit diesem System ist das unmöglich. Die Grundversorgung muss vollkommen neu gedacht werden, es braucht eine vollkommene Neuaufstellung.

5. Wir müssen das jetzt nützen, weil uns die jetzige Krise - wochenlanges Warten auf Geld, unklare Regeln, etc - aufzeigt, was geflüchtete Menschen uns seit Jahr und Tag erzählen - und es so nicht weitergeht.
Nicht aufspalten lassen in gute und schlechte Flüchtlinge!
Es wird immerfort betont, dass Ukrainer*innen anders wären als andere Geflüchtete.
Tatsächlich sind sie deswegen anders, weil wir sie anders behandeln. Sie fliehen aber vor ähnlichen Gefahren wie Menschen aus Syrien und Afghanistan.

6. Tatsächlich haben wir jetzt ähnlich viele Personen wie am Ende des Jahres 2015. Dafür ist es erstaunlich ruhig an der Oberfläche - Grund dafür ist, dass gut 2/3 der Menschen privat untergebracht sind. Man braucht aber nicht viel zu graben und merkt dass es ordentlich grummelt unter der Oberfläche: Es fehlt an entschlossenem politischen Handeln und an Entscheidungen, an Unterstützung für die Zivilgesellschaft. um auch weiterhin zu ermöglichen, dass Menschen privat wohnen können und Anschluss finden.

7. Wir sehen ein unredliches Hantieren und Instrumentalisieren von Zahlen von offizieller Seite. Dafür bleibt jetzt keine Zeit: Die wahren Herausforderungen liegen noch vor uns - was ist der Plan für die Kinderbetreuung? Gibt es ausreichend Ferienbetreuungsangebote? Wie wird der Schulstart organisiert? Transport? Klare Regeln Zuverdienst? Familienbeihilfe?

8. Es sind sehr viele Akteur*innen involviert, gute Koordination ist notwendig. Ansonsten müssen sich die Politiker*innen gefallen lassen, dass sie gar nicht an einer Lösung interessiert sind sondern eher an der Problembewirtschaftung.

9. Es heißt, die Ukrainer*innen würden gerne wieder zurückkehren. Ich glaube nicht, dass das eine rein ukrainische Eigenschaft ist. Das wollen auch viele unserer afghanischen, syrischen und somalischen Mitbürger*innen. Allein, es geht nicht. Wir wünschen alle den Ukrainer*innen dass ihr Wunsch wieder Realität wird. Wir müssen aber realistisch sein. Realistisch sein heißt, dass wir uns darauf vorbereiten müssen, dass das nicht so schnell möglich sein wird.
Deswegen brauchen wir kein Wunschdenken, sondern Realitätssinn und Perspektiven für die Betroffenen. Michael Landau hat einmal sehr richtig gesagt, das sei kein Sprint sondern ein Marathon. Ich glaube, wir müssen uns auf einen Dauerlauf einstellen.
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