Agenda Asyl Punktuation zum Regierungsprogramm
Bedenkliche Untergrabung der Rechtstaatlichkeit
Die Möglichkeit, Schutzsuche ausschließlich nach nationalen Bestimmungen zu behandeln, ist durch internationales Recht beschränkt. Österreich hat bereits 1955 die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, diese Grundlage des Flüchtlingsschutzes ist in EU-Richtlinien eingeflossen; die Grundrechtecharta der EU anerkennt explizit das Recht auf Asyl und rechtsstaatliche Verfahren.
Die Bekämpfung illegaler Migration wird im Regierungsprogramm mehrfach als ein besonders wichtiges Anliegen genannt, immer wird damit auch auf Flüchtlinge gezielt. Weil es kaum legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge gibt, sind sie darauf angewiesen illegal einzureisen um sich in Sicherheit bringen zu können.
Internationales Recht schreibt den Flüchtlingen jedoch nicht vor, wo sie um Schutz ersuchen sollen und verbietet ausdrücklich, Schutzsuchende ohne sorgfältige Prüfung der Fluchtgründe und der Sicherheit im Zielland abzuschieben.
Einschränkungen des Rechtsschutzes und Abweichungen von den üblichen Verfahrensgarantien hat der österreichische Verfassungsgerichtshof nur dann als unbedenklich beurteilt, wenn diese angemessen und erforderlich sind. Die verkürzten Beschwerdefristen in Asylverfahren wurden zuletzt im Oktober 2017 vom VfGH als rechtswidrig aufgehoben, nun findet sich eine diesbezügliche Forderung wieder im Regierungsprogramm.
 
Es gibt kaum ein anderes Rechtsgebiet, das in den vergangenen Jahren so komplex und schwierig zu durchschauen geworden ist, wie das Asylrecht. Selbst für ExpertInnen ist es schwierig, sich im Paragraphendschungel zurecht zu finden. Die im Regierungsprogramm angekündigte Neufassung sollte zum Anlass genommen werden, die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit der zahllosen Bestimmungen zu hinterfragen und das Asylrecht zu vereinfachen.
 
Ob jedoch diese Regierung, die in ihrem Programm eine Fülle von unionsrechtswidrigen, völkerrechtswidrigen und verfassungswidrigen Vorschlägen präsentiert in der Lage sein wird, eine Neufassung des Asyl- und Fremdenrechtes vorzulegen, das einer Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof standhalten würde, ist fraglich.
 
Die im Regierungsprogramm angedachte Anwaltspflicht trägt zweifellos der bestehenden Notwendigkeit rechtlicher Unterstützung Rechnung, das bestehende System der Rechtsberatung durch NGOs könnte allerdings durch die Anhebung der Qualifikation von RechtsberaterInnen und die Festlegung von Qualitätsstandards verbessert werden. Agenda Asyl schlägt vor, umfassende rechtliche Unterstützung bereits während des erstinstanzlichen Verfahren einzuführen, weil damit ein effizienter Beitrag zur Verkürzung der Verfahren und durch zutreffendere Entscheidungen des BFA auch eine Senkung der Verfahrenskosten erzielt wird.
 
Die Schaffung einer „unabhängigen und objektiven Rechtsberatung und qualitativ hochwertigen Rückkehrberatung im asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren“, wie sie im Regierungsprogramm formuliert ist, lässt schlimmste Befürchtungen für den Rechtsschutz und die Sicherstellung fairer Verfahren aufkommen:
Im schlechtesten Fall wäre das die Zerschlagung des derzeitigen Rechtsberatungssystems, das ein Recht auf unabhängige und kostenlose Rechtsvertretung im Beschwerdeverfahren vorsieht. Der Ersatz dafür könnte Rechtsberatung durch staatliche Organe sein.
 
Zur Effizienzsteigerung von Asylverfahren ist weiters geplant, dass AsylwerberInnen nach einer negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sich nicht mehr an den Verwaltungsgerichtshof wenden können. Der VwGH selbst spricht sich vehement gegen die Abschaffung dieser außerordentlichen Revision aus und befürchtet, dass es lediglich zu einer Verschiebung von Verfahren vom VwGH zum VfGH kommen würde. „Ein Ausschluss der außerordentlichen Revision in Asylverfahren bedeutet eine Durchbrechung der derzeit bestehenden einheitlichen rechtsstaatlichen Standards und einen rechtsstaatlichen Rückschritt in einem menschenrechtlich besonders sensiblen Bereich, dem keine signifikanten Effizienzsteigerungen gegenüberstehen.“ Der scheidende Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Gerhard Holzinger erinnerte im ORF Interview daran, dass diese Überprüfungsmöglichkeit in anderen Rechtsgebieten möglich sei und eine ähnliche Regelung zwischen 2008 und 2014 zu „einem dramatischen Anstieg der Fälle“, die beim VfGH landen, geführt habe.
 
Mit Einrichtung des Bundesverwaltungsgerichts und der Landesverwaltungsgerichte wurden die jahrzehntelangen Bestrebungen einer großangelegten Verwaltungsreform mit Jänner 2014 umgesetzt. Österreich folgte damit bereits bestehenden europäischen Standards und den Erfordernissen der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der bis dahin bestehende Asylgerichtshof ging im neuen Bundesverwaltungsgericht auf.
Der Unterschied: Der Asylgerichtshof war als Höchstgericht konzipiert und entschied in Senaten. Dies war die Voraussetzung, dass der Zugang zum Verwaltungsgerichtshof gekappt werden konnte.
Den Zugang zum Verwaltungsgerichtshof gegen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes (2. Instanz) nun neuerlich (und nur in Asylverfahren) zu kippen, wird verfassungsrechtlich schwierig sein. Dazu müssten wohl die Asylsachen wieder aus dem Bundesverwaltungsgericht herausgenommen werden und ein neuerliches Sonder(höchst)gericht (wie damals der Asylgerichtshof) eingeführt werden.
 
Menschenrechtsexperten sehen im Regierungsprogramm eine Fortsetzung des seit einigen Jahren bestehenden extrem repressiven Zugangs der versucht, rechtstaatliche Standards immer weiter einzuschränken. Im Fremdenrecht wird versucht auszuloten, welche Verschärfungen beim Verfassungsgerichtshof durchgehen und auf andere Bereiche ausgeweitet werden können.
Gerade weil bei Asylverfahren drohende gravierende Menschenrechtsverletzungen geprüft werden, müssen solche Verfahren unter voller Einhaltung rechtsstaatlicher Garantien geführt werden.
 
Isolation statt Integration
In den vergangen beiden Jahren wurden erstmals auch für AsylwerberInnen zumindest punktuell Integrationsmaßnahmen umgesetzt: Zugang zu Deutschkursen für AsylwerberInnen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit, Kompetenzchecks, Übergangsstufen und -lehrgänge in höheren Schulen, das Bekenntnis des Landes Wien zum Prinzip „Integration vom ersten Tag an“ – um einige zu nennen. Auch die Möglichkeit, Lehrstellen in Berufen mit Lehrlingsmangel an jugendliche AsylwerberInnen zu vergeben, wurde zunehmend genutzt, weiters sollte das „Integrationsjahr“ 2018 für AsylwerberInnen geöffnet werden.
Diese Maßnahmen haben bereits Wirkung gezeigt und könnten weiterentwickelt werden.
 
Diese positiven Entwicklungen scheinen nun nicht nur gefährdet, die neue Regierung will „organisierte Desintegration“ von AsylwerberInnen (wieder) zum Programm machen.
 
Änderungen im Bereich Unterbringung und Betreuung von Asylsuchenden werden zur Isolation von Schutzsuchenden von der österreichischen Bevölkerung führen. Man will damit verhindern, dass durch Unterstützung und Hilfe seitens der Zivilgesellschaft (Deutschkurse, Patenschaften, Begegnungsprojekte) Beziehungen entstehen, die sich in solidarischer Unterstützung auch im Falle von drohenden Abschiebungen in Kriegsgebiete niederschlagen.
 
Konkret soll es keine Möglichkeit der privaten Unterbringung mehr geben, Innenminister Kickl spricht gar von konzentrierter Unterbringung der Flüchtlinge. Die Umstellung auf staatlich organisierte Zentren würde nicht nur zu Mehrkosten von ca. 37.000.000 Euro pro Jahr führen, sondern auch direkte Erfahrungen in der österreichischen Gesellschaft (und so Integration) während des Asylverfahrens verhindern.
 
Das deutsche Bundesverfassungsgericht faßte in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 eine auch für Österreich bemerkenswerte Entscheidung. Das „Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“, umfasse neben der physischen Existenz auch ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Die intendierte „Abschreckungswirkung“ durch die geringe Unterstützung erachteten die deutschen Verfassungshüter als unzulässig.
 
Das Vorhaben, Grundversorgung ausschließlich als Sachleistungen zu gewähren, soll erste Kontakte zur österreichischen Gesellschaft zum Beispiel durch den regelmäßigen Einkauf verhindern.
 
Die Isolation soll vor allem für Kinder gelten. Hier wird offensichtlich auf Konzepte der ungarischen Regierung zurückgegriffen. Kinder lernen durch den gemeinsamen Unterricht in Regelschulen und Freundschaften mit anderen SchülerInnen meist sehr schnell Deutsch und wie die österreichische Gesellschaft funktioniert. Geplant ist die Schaffung von so genannten Brückenklassen in von der Außenwelt abgeschotteten Grundversorgungseinrichtungen. Dass ausgerechnet in einem solchen Setting die deutsche Sprache erlernt werden soll widerspricht allen Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung der letzten 30 Jahre.
 
Grundversorgungseinrichtungen könnten (klare Aussagen finden sich dazu im Regierungsprogramm nicht) in ganz Österreich in die Kompetenz einer „Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen“ überführt werden. Sollte damit aber tatsächlich eine „Re-Verbundlichung“ der Grundversorgung von den Ländern hin zum Innenministerium gemeint sein, bedeutet dies ein größeres Vorhaben, das wohl nur mit einer Aufkündigung der Bund-Länder-Grundversorgungsvereinbarung möglich wäre. Die Kündigungsfrist beträgt hier 18 Monate. Das hieße natürlich auch, dass der Bund die gesamte Betreuung selbst organisieren müsste, die entsprechenden Verwaltungseinheiten geschaffen werden müssten und auch die Kosten, die bisher im Verhältnis 60:40 zwischen Bund und Ländern geteilt waren, selbst zu tragen hätte.
 
Die Umsetzung dieser Idee würde das Ende der Grundversorgungsvereinbarung von Bund und Bundesländern bedeuten, Standards in einzelnen Bundesländern werden dann – vermutlich nach unten - nivelliert. Dass eine solche Zentralisierung vor allem in Krisenzeiten an ihre Grenzen stößt, hat das Versagen der Bundesbehörden bei der Bewältigung der Fluchtbewegungen der Jahre 2015/16 deutlich gezeigt.
 
Agenda Asyl wird sich auch unter der neuen Regierung für die Einhaltung und Verbesserung der Betreuungsstandards in der Grundversorgung und für das Prinzip „Integration vom ersten Tag an“ einsetzen. Nur so können die internationalen Verpflichtungen eingehalten und die Chancen, die die Aufnahme von Flüchtlingen für die österreichische Gesellschaft bietet, genutzt werden.
 
Soziale Sicherheit ausgehöhlt
Einschnitten in das System der sozialen Sicherheit von Schutzberechtigten haben die Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg vorgeführt, nun sieht das Regierungsprogramm vor, dass Flüchtlinge erst nach 5 Jahren legalem Aufenthalt Anspruch auf Bedarfsorientierte Mindestsicherung haben sollen. Bis dahin sollen ihnen nur Leistungen in Höhe der Grundversorgung zustehen, also 365 Euro, die durch einen Integrationsbonus in Höhe von € 155 aufgebessert werden.
 
Mit 520 Euro pro Monat sind jedoch die Herausforderungen, die das Fußfassen in unserer Gesellschaft mit sich bringt, nicht bewältigen. Wie kann man damit Beispielsweise die Fahrtkosten für Arbeitssuche und Vorstellungsgespräche, das Suchen, Anmieten und Ausstatten einer kostengünstigen Wohnung finanzieren? Der Integrationsbonus kann bei Verabsäumen von Terminen oder Kursen auch bis gegen Null gekürzt werden, das bisher so massiv betonte Ziel Integration kann mit Sanktionen, die den Betroffenen die Existenzgrundlage rauben, nicht erreicht werden. Menschenwürdig leben wird auch durch die geplante Deckelung der Mindestsicherung mit maximal 1500 Euro für Mehrpersonenhaushalte nicht mehr möglich sein. Diese Regelung hat in Niederösterreich bereits für Aufsehen gesorgt, weil davon alle MindestsicherungsbezieherInnen betroffen sind, und zu beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Beschwerden geführt. Wegen seiner Bedenken gegen die Wartefrist und den Höchstbetrag hatte sich das NÖ Verwaltungsgericht an den Verfassungsgerichtshof gewandt.
 
Subsidiär Schutzberechtigte haben, im Gegensatz zu Asylberechtigten, ein weniger stark verbrieftes Recht auf soziale Leistungen. Die langjährigen Forderungen des UNHCR und von NGOs, anzuerkennen, dass eine Rückkehr oder Abschiebung in ihr Herkunftsland meist viele Jahre nicht möglich ist und sie daher auf dieselben Leistungen Anspruch haben sollten wie ÖsterreicherInnen bleibt auf unserer Agenda. Das Regierungsprogramm schlägt jedoch den umgekehrten Weg ein: es drohen allen MindestsicherungsbezieherInnen Sanktionen und Kürzungen.
 
 
Ausbau der Festung statt Ausbau der gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik
Die EU investiert enorme Mittel in den Ausbau des Grenzschutzes und in Grenzkontrollen und trägt damit dazu bei, dass Flüchtlinge immer höhere Risiken auf sich nehmen (müssen), um in Europa Schutz zu finden. Für legale Wege der Einreise gibt es kein verbindliches europäisches Programm. Zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisenregionen haben sich einzelne Mitgliedstaaten bereit erklärt, unter anderen hat Österreich 2013-2017 1900 syrische Flüchtlinge aufgenommen. Im Regierungsprogramm wird nun Resettlement angekündigt. Die Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens wird sich daran zeigen, wie viele Flüchtlinge tatsächlich aufgenommen werden.
 
Die Regierung schlägt vor, auf See Gerettete in „Rescue Centres“ außerhalb der EU zu bringen und sie nicht selbst aktiv in die EU zu holen.
Grundsätzlich haben Geflüchtete das Recht im Falle ihrer Rettung auf hoher See in den nächsten sicheren Hafen gebracht zu werden. „Sicher“ bedeutet auch Sicherheit vor unmenschlicher Behandlung oder Abschiebung ohne Prüfung eines Asylantrages in einem fairen Asylverfahren. Die allermeisten Drittstaaten außerhalb der EU können heute nicht als „sicher“ eingestuft werden, weil sie die europäischen Minimalstandards nicht einhalten (können).
Die Kernfrage dieser „externalisierten“ „Rescue Centres“ist: Nach welchem Recht, bzw. nach dem Recht welches europäischen Landes sollen dort (in Libyen und anderswo) Asylverfahren geführt werden? Denn die Asylverfahren und die Schutzgewährung in Europa sind nach wie vor nationalstaatlich organisiert. Eine europäische Asylbehörde, die ein europäisches Asylrecht gewähren könnte, existiert nicht. (Und wird auch von den nationalen und konservativen PolitikerInnen Europas massiv bekämpft.)

Die Regierung möchte die Zusammenarbeit mit den mitteleuropäischen Nachbarstaaten weiter stärken und sich auf die wesentlichen, für gemeinsame Lösungen geeignete Themen fokussieren. Da die Visegrád-Gruppe – also Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen jene EU-Staaten sind, die eine Verteilung der Flüchtlinge ablehnen und sie eine eher europakritische Haltung, vor allem in Flüchtlings- und Migrationsfragen verbindet, steht zu befürchten, dass sich Österreichs Flüchtlingspolitik stärker diesen Positionen annähern wird. Die Situation der Flüchtlinge in den sogenannten Hotspots in der EU, Griechenland und Italien bleibt ungeklärt, allerdings will die Regierung eine starke Grenzraumkontrolle aufrecht erhalten.
 
Das Bekenntnis der Regierung zu Europa findet Eingang in das Vorhaben, an den laufenden Verhandlungen zu einem gemeinsamen EU-Asylsystem mitzuwirken. Dabei sollte nicht nur das Ziel im Mittelpunkt stehen, die für Österreich bestmöglichen Schutzinteressen sicherzustellen, sondern eine Nivellierung des Schutzes von Flüchtlingen nach unten zu verhindern.
 
12. Jänner 2018
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WEBDESIGN Christof Schlegel / PROGRAMMIERUNG a+o / FOTOS Mafalda Rakoš