Bericht von Doro Blanke Ende April 2021
April 2021
Lesbos/RIC Camp 2021

BewohnerInnen
Es leben immer noch ca. 6400 Menschen im Camp, darunter um die 1.600 Kinder.
Immer wieder kommen Neuankömmlinge dazu, es landen jede Woche einige Boote.

Sanitäre Anlagen
Es gibt ca. 250 Warmwasserduschen, alles andere Kübelduschen, mit kaltem Wasser. Bis heute viel zu wenig Toiletten, die auch tlw. Verheerend aussehen, da die Menschen sich nachts, ohne Licht draufstellen. Sämtliche Wäsche, sowohl die der Kinder, als auch der Erwachsenen muss mit Hand und kaltem Wasser gewaschen werden. Eine große Herausforderung, auch die Trocknung, anlässlich der vielen Regenschauer im Winter bzw Frühling.

Nahrung
Es gibt 1 kleines Frühstück und 1 gekochte, oft nicht warme Mahlzeit am Tag.
Nachdem der erste Caterer in Konkurs ging, wurde ein neues Unternehmen engagiert. Die Art und Weise der momentanen Versorgung im Camp, Essen/Verteilung/ Food Line vom Caterer, wurde eindrücklich in griechischen Zeitungen beschrieben.
Wässrige Suppen bis hin zu viel zu kleine Portionen, es spottet jeder Beschreibung. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass dies die einzige offizielle Versorgungsmöglichkeit ist.
Die Menschen stehen oft stundenlang bei sengender Hitze, oder bei Regen in den Foodlines/Essensausgabe. Sind die Eltern krank oder zu schwach, müssen die Kinder diese anstrengenden Bemühungen übernehmen, auch für alte, Hochschwangere oder Menschen im Rollstuhl eine kaum bewältigbare Aufgabe. Einige Familien versuchen zusätzliches Essen mit elektrischen Kochtöpfen zuzubereiten. Kartoffel, Reis, Nudeln (beim nahegelegen LIDL eingekauft) was eigentlich offiziell verboten ist. Dies ist zum Teil der katastrophalen Stromversorgung im Camp geschuldet. Die Stromversorgung ist bis heute nicht auf die Anzahl der Bewohnerinnen ausgelegt, des Öfteren sind manche Zelte bis zu 1 ½ Tage ohne Strom. Auch dies eine große Belastung für die Eltern, warme Getränke für die Kinder in der Nacht sind beinahe unmöglich.

Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung ist vollkommen unzureichend, aufs Nötigste reduziert. Viele Krankheiten, bestehende als auch durch die Situation entstehende psychosomatische, werden nur oberflächlich behandelt, die Ärzt*innen, die als Volunteers im Camp arbeiten sind zutiefst betroffen. Läuse und Krätze nehmen jetzt im Frühling wieder überhand. Sie sind kaum in den Griff zu bekommen, da bei allen Behandlungsarten die gesamte Kleidung und Bettwäsche heiß gewaschen werden müsste, was unter gegebenen Umständen nicht möglich ist.
Sämtliche Therapien und Operationen die nicht zwingend lebenserhaltend sind, werden auf unbestimmte Zeit vertagt. Auch dazu gibt es genug Berichte von Fachkräften/Ärzt*innen die ehrenamtlich bei medizinischen NGOs mitarbeiten oder mitgearbeitet haben.

Bildung und psychologische Betretung
Bereits im Herbst wurde mit Umbaumaßnahmen begonnen, um eine Möglichkeit für Schulcontainer zu schaffen. Diese Plätze wurden jetzt wieder mit neuen Zelten für Familien belegt. Es gibt hier etliche Kinder die seit Jahren keine Schule bzw. pädagogische Begleitung erhalten haben, was A unverantwortlich ist und B bei den Eltern riesen Druck und Verzweiflung aufbaut. Ehemalige Lehrer*innen, selbst Schutzsuchende, versuchen in Micro-Schulen (6-7 Kinder) ein Beschäftigungs- und Bildungsfeld für Kinder aufzubauen, dies wird jedoch immer wieder wegen bestehenden Corona Maßnahmen unterbunden.

Situation Kinder
Es gibt weder Bildung noch sonst eine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit für die Kinder. Jedes einzelne von ihnen, traumatisiert von Flucht und den dramatischen Erfahrungen in Moria 1 und 2, durchlebt ein Martyrium, das schwer in Worte zu fassen ist. Die sowohl physische als auch psychische Verfassung ihrer Eltern, deren Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, bringen die Kinder in eine Situation, die ihnen gegenüber unverantwortlichst ist. Wie sich dies bei den Kindern jeweils äußert schildern klare Berichte von ExpertInnen, wie z.B. Ärztinnen von MVI (Medical Volunteers International) und Psychologinnen vor Ort von MSF (Ärzte ohne Grenzen) und OHF (One Happy Family). Es gibt weder für die Kinder noch für die Eltern soziale Räumlichkeiten, Zelte, Container, Bänke, der einzige verfügbare Ort für Gespräche zwischen Freunde und Bekannten ist entweder im 9m2 Zelt oder unter sengender Sonne am steinigen Küstenboden. Die Verzweiflung aller Betroffenen ist mit unserer Sprache kaum mehr begreiflich zu machen.
Dieses Camp ist weder im Winter noch im Sommer menschenwürdig. Im Winter Eiseskälte ohne Heizung, die Menschen froren und konnten sich keine Stunde wo erwärmen. Im Frühling und im Sommer klettern die Temperaturen im Zelt schnell auf 30°+ und mehr. Weder die Eltern noch die Kinder finden Erholung, geschweige denn einen guten Schlaf. Zusätzlich zur Ungewissheit, dem Erfühlen, dem Bewusstsein ständige Ablehnung zu erfahren, eine weitere traumatische Erfahrung. Kinder nässen in ihre Decken, trauen sich abends, wenn es finster wird, nicht ins Zelt, aus Angst vor Feuer, wollen z.T. ihre Eltern keinen Schritt mehr verlassen.

Möglichkeit das Camp für einige Stunden zu verlassen
Die Menschen dürfen mit wenigen Ausnahmen ein mal pro Woche für drei Std. das Camp verlassen. Auch dies stellt ein großes Problem für die Betroffenen dar. Kaum die Möglichkeit für Einkäufe um das Existenzielle zu besorgen. Vor dem benachbarten LIDL stehen die Menschen, wegen der Corona-Situation oft stundenlang in der Schlange, dh. sie müssen sofort nach dem Einkauf ins Camp zurück. Der Fußmarsch in die nahegelegene Hauptstadt Mytelini beträgt ca 40min, zeitlich kaum zu bewältigen. Menschen die Termine bei Ärzten oder Rechtsberatungen vorweisen können, erhalten die Erlaubnis das Camp dafür zu verlassen.
Es wird alles daran gesetzt, den Aufbau von Beziehungen zur heimischen Bevölkerung zu unterbinden, was wiederum starke Auswirkungen auf den psychologischen Zustand der Schutzsuchenden hat. Sie fühlen sich total mit ihrem Schicksaal alleingelassen. Das Fehlen von Kommunikation und dem Aufbau von Beziehungen trägt wie alles andere dazu bei, dass die Menschen „gebrochen“ werden.

Aktuelle Herausforderungen
Trotz frühlingshaften, teils sommerlichen Temperaturen am Tag, sind die Nächte noch sehr kalt, keine Heizungen, die Menschen frieren immer noch. Ratten sind vermehrt im Camp, die Bewohner*innen ängstigt das teilweise so sehr, dass sie nicht schlafen können. Die Ratten beißen sich durch die Zeltwände (Fotos und Videos liegen uns vor) und durch die wenigen Lebensmittelvorräte, die die Familien oder Alleinreisenden besitzen.
Auch die Schlangen im unwegsamen Gelände des Camps sind erwacht, verursachen Angst und stellen, wie auch alte Militärrelikte die immer wieder gefunden werden, eine Gefahr für die Bewohnerinnen dar.

Rechtsberatung
Fast alle Personen gehen vollkommen unvorbereitet zu ihrem Asylinterview und werden erst nahc einer Ablehnung von staatlichen Rechtsberater*innen vertreten. Die Menschen unterschreiben des Öfteren Dinge die sich nicht verstehen. Dolmetscher*innen und Beamt*innen dokumentieren die Interviews teils in Englisch. Nach Einsicht in etliche Akten sind wir maßlos betroffen von der „Qualität“ der rechtlichen Verfahren. Das Englisch ist teilweise weder verständlich noch die Aussagen nachvollziehbar.

Finanzielle Unterstützung
Einen Monat nach der Ablehnung bzw einem positiven Bescheid wird die finanzielle Unterstützung eingestellt, die Betroffenen sind also völlig mittellos der aktuellen Situation ausgeliefert. Auch wenn die Familien aufs Festland gebracht werden und anfänglich eine Unterkunft zur Verfügung gestellt bekommen, werden sie nach drei Monaten dort entlassen und auf die Straße gesetzt. Es heißt, sie sollen sich einen Job suchen, in einem Land, in dem 18,5% Arbeitslose sind und kaum jemand eine Wohnung an Asylberechtigte vermietet. Die Auswirkungen sieht man in Athen und Thessaloniki, 1000e obdachlose Menschen mit „Schutzstatus“.

Kara Tepe 1 Containerdorf
Wie grausam hier mit Menschen umgegangen wird, sieht man an der Schließung von Kara Tepe 1, einer Flüchtlingsunterkunft die internationalen Standards entspricht. Hier lebten vorwiegend besonders vulnerable Personen. Familien, Kinder mit nachweislich schlimmsten Traumatisierungen. Der Bürgermeister der Gemeinde Mytellini wollte den Grund, der im Besitz der Gemeinde ist, nicht weiter zur Verfügung stellen. Die zum Teil schwer traumatisierten müssen sich von Schule, Spielplatz, Musikcontainern trennen und wurden in das unerträglich Moria 2 übersiedelt.

Zum Abschluss möchten wir betonen, das wir hier vor Ort täglich Zeug*innen eines massiven Menschenrechtsbruch sind. Es liegt uns fern zu sagen, dass die europäische Asylpolitik hier versagt, viel zu klar ist ersichtlich, dass hier europäische Abschreckungspolitk mit dem Wissen aller Mitgliedsstaaten exerziert wird. Wir fordern gemeinsam mit unzähligen anderen Vereinen, Initiativen, Zivilgesellschaft, der österreichischen Bischofskonferenz und österreichischen und europätischen NGOs eine sofortige Evakuierung des RIC Camps/Moria 2 auf Lesbos.
Außerdem fordern wir von der Europäischen Kommision und allen Mitgliedstaaten eine visionäre und den Menschenrechten entsprechende Flüchtlingspolitik, menschenwürdige Unterbringung aller Schutzsuchenden, faire, schnelle Asylverfahren und eine sofortige Beendigung aller illegalen Push Backs an den europäischen Außengrenzen.

Flüchtlingshilfe-refugee assistance-doro blancke / April 21 / Lesbos, GR
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